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Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore

Titel: Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
Autoren: Thomas A. Barron , Irmela Brender
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konnte er tun?
    Während er darüber nachdachte, zog er seinen Dolch aus der Scheide am Gürtel. Langsam drehte er ihn im schwachen Licht der Sterne hinter der überstehenden Felsplatte, Licht, das in der dunstigen Luft ständig flackerte. Die Klinge des Dolchs und der Griff waren so alt und zerbeult, dass Rost alles überzog, selbst die vielfältigen Kratzspuren. Mit einem Kopfnicken erinnerte sich Tamwyn an den Tag vor Jahren, an dem er die Waffe in einem Feld an die Oberfläche gepflügt hatte. Der alte Bauer, dem er damals half, hatte ihm den Dolch gegeben und ihn »ein Geschenk des Landes« genannt. Und bald war daraus Tamwyns Lieblingswerkzeug geworden, das er für alles benutzte, vom Obstzerteilen bis zum Holzschnitzen.
    Holzschnitzen . . .
    Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Ob er nun Avalon retten konnte oder nicht – vielleicht war er wenigstens fähig, seine Beziehung zu Elli zu retten. Wenn er ihr erklären könnte, was wirklich dort auf dem Stein geschehen war, dannwürde sie seine Ängste verstehen. Und vielleicht auch seine Gefühle.
    Er griff nach seinem Bündel, zog eine dreieckige Holzplatte hervor, drehte sie um und beobachtete, wie ihre dunkelbraune, orange gestreifte Maserung im dunstigen Licht schimmerte. Wie immer staunte er darüber, wie leicht dieses Holz war, das die Elfen
Harmóna
nannten. Es schien mehr von Wolken zu stammen als von Bäumen.
    Und Leichtigkeit war nicht seine einzige ungewöhnliche Qualität. Tamwyn klopfte leicht auf die Seite und horchte auf die vibrierenden Echos im Holz, die an ein Orchester von Holzglocken denken ließen. Es dauerte länger als eine Minute, bis sie verklangen. Denn Harmóna war das legendäre Holz, das nur ganz im Westen von Waldwurzel gefunden wurde. Seit Jahrhunderten benutzten es Elfen zum Bauen magischer Musikinstrumente: Flöten, so zart und sanft, dass sie einen tosenden Fluss beruhigen konnten, Trommeln, so gefühlvoll, dass die Herzen der Zuhörer so schnell wie Kolibriflügel schlugen, Lauten, die schon nach dem leichtesten Zupfen ein heiteres, sinnliches Lied spielten.
    Tamwyn hatte sich diese Harmónaplatte in den Tagen nach Tressimirs Begräbnis verdient, indem er als Holzschnitzer in Brionnas Heimatdorf arbeitete, während Elli ihre alte Freundin, die Hohepriesterin Coerria besuchte. Fünf Tage lang war er dort geblieben, hatte morgens Möbel und Schaufeln für Wasserräder geschnitzt, nachmittags Rehspuren und Feenschluchten erkundet und abends an den Konzerten der Elfen teilgenommen. Man hatte ihm andersartigeEntlohnungen für seine Arbeit angeboten, unter anderem auch ein langes Elfenseil, das viel haltbarer war als die Ranke, die er um seine Mitte trug, doch er hatte abgelehnt. Denn er brauchte dieses Holz.
    Jetzt strich er über die Kante und stellte sich die Konturen der Harfe vor, die er für Elli schnitzen wollte. Das Instrument würde so wunderbar klingen, wie es nur diesem magischen Holz möglich war. Und es würde Ellis erste Harfe ersetzen, eine Arbeit ihres geliebten Vaters – die Tamwyn innerhalb von Sekunden nach ihrer ersten Begegnung zerbrochen hatte. Es sah aus, als hätte sie ihm das beinah verziehen, bis er in der vergangenen Nacht wieder alles zerstört hatte. Jetzt war diese neue, magische Harfe seine größte – vielleicht seine einzige – Hoffnung.
    Er betrachtete die Holzplatte.
Ja, bei der Rinde des großen Baums.
Diese neue Harfe würde zugleich eine Entschuldigung für die Vergangenheit
. . .
und vielleicht eine Einladung für die Zukunft sein.
    Er schluckte. Aber welche Zukunft würde ihnen vergönnt sein, wenn Avalon von Rhita Gawr erobert wurde? Wenn der Kriegsherr aus dem Geisterreich erlebte, was er als seinen
größten Triumph
bezeichnete?
    Selbst durch den steigenden Nebel sahen die Umrisse von Tamwyns Kinn und Stirn plötzlich kantig aus.
Ich muss etwas tun. Was, weiß ich nicht. Aber ich muss trotzdem etwas versuchen.
Er nickte der Holzplatte zu, als würde er mit ihr reden.
Bis zum Morgen muss ich einen Plan haben. Oder wenigstens eine Idee.
    Der Morgen war nur noch eine Stunde oder zwei entfernt.
    Nachdenklich kaute er auf seiner Lippe, während er wieder den Dolch zur Hand nahm. Dann machte er mit beachtlicher Sorgfalt den ersten Schnitt ins Holz. Es ließ sich so leicht schneiden wie Schaum auf einem Krug Steinwurzelbier, als würde es die Bewegung der Klinge schon ahnen, bevor er sie ausführte. Tamwyn begann an dem zu arbeiten, was allmählich zum Resonanzkörper der Harfe werden sollte, an den
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