Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For

Titel: Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
Autoren: Alexandra Potter
Vom Netzwerk:
etwas regt sich.
    Das Herz rutscht mir in die Hose. Ich hatte Recht. Er wird auf der Bühne untergehen. Genau hier, direkt vor meinen Augen. In einer bayerischen Kneipe.
    »Aber ernsthaft. Dies ist mein erster Besuch in Großbritannien, und mir ist aufgefallen, dass hier einige Dinge anders sind als zu Hause …«
    Als ich ihn im gnadenlosen Licht des Scheinwerfers stehen sehe, will ich am liebsten auf die Bühne laufen und ihn retten. Aber das geht nicht. Ich bin machtlos, kann nichts für ihn tun. Ich sehe mich um. Niemand, kein einziger Gast, lacht. Offenbar verwirrt über den Mangel an Bitterkeit und maschinengewehrartigem Abfeuern irgendwelcher Scherze, wie sie es von den meisten anderen Standup-Comedians gewohnt sind, sehen sie einander verunsichert an. Es herrscht eine wenig herzliche Atmosphäre. Sie sind offenbar nicht bereit, ihn anzunehmen. Mir fällt auf, dass einige Leute sogar angefangen haben, sich zu unterhalten. Scheiße! Vielleicht hatte Gabe Recht - vielleicht erwartet das Publikum einen zornigen und von Angst besessenen Comedian.
    »Wie zum Beispiel...«
    Ich sehe wieder zu Gabe hinauf. Inzwischen sehe ich, dass er nervös ist. Er reibt seine Nase, wie immer, wenn er verlegen ist, und seine anfängliche Zuversicht ist verflogen. Es entsteht eine verlegene Pause, als er schluckt. Oh Gott, ich kann nicht länger zusehen.
    Geduckt schiebe ich mich an ein paar Gästen an der Bar vorbei in Richtung Damentoilette. Die Schwingtür schließt sich hinter mir, so dass seine Stimme kaum mehr als ein gedämpftes Murmeln ist. Mit einem erleichterten Seufzer lege ich die Hände auf das Waschbecken, drehe den Hahn auf und starre in den Abfluss. Was für eine Metapher: Gabes Traum, als Standup-Comedian Karriere zu machen, geht in diesem Moment wortwörtlich den Bach hinunter.
    Ich bespritze mein Gesicht mit Wasser. Er tut mir so unendlich leid. All die Zeit, die Arbeit und die Mühe, hierher zu kommen. Und wofür? Um ignoriert, mit einem Gähnen empfangen zu werden? Empörung erfasst mich bei diesem Gedanken. Denn trotz allem glaube ich, dass Gabe Talent hat. Er ist witzig. Von Natur aus. Und ich ertrage kaum, wie er dort oben steht, gerade in diesem Moment, und keiner lacht …
    Wie auf ein Stichwort dringt schallendes Gelächter an mein Ohr.
    Was? Das kann doch nicht sein! Oder doch? Vorsichtig öffne ich die Tür, spähe durch den Rauch zur Bühne und traue meinen Augen kaum. Ich habe mich nicht geirrt. Die Leute lächeln, einige lachen sogar. Selbst die Mädchen an der Bar stoßen einander in die Rippen und kichern.
    »Kürzlich war ich in einem dieser Doppeldeckerbusse …«
    Ich trete aus der Toilette und mische mich wieder unters Publikum, und als er weiterspricht, spüre ich, wie sich die Leute für ihn erwärmen. Sie hören auf zu reden und lauschen. Gabe lächelt und fährt mit neu gewonnener Zuversicht fort.
    »… und da saß ein kleines Mädchen, das weinte. ›Was soll ich nur tun?‹ habe ich mich gefragt. Ich habe mich schrecklich gefühlt …« Genau in der richtigen Sekunde hält er inne und zieht ein Gesicht, das das Publikum in wildes Gelächter ausbrechen lässt.
    »Dann fiel mir wieder ein, dass ich ja noch ein Bonbon in meinem Rucksack habe …« - wieder eine sekundenlange Pause - »… also habe ich es ausgepackt und mir in den Mund gesteckt. Es war Wahnsinn. Ich habe mich sofort besser gefühlt.«
    Das Publikum ist endgültig nicht mehr zu halten.
    Mein Blick schweift über sie hinweg, über ihre weit aufgerissenen Münder, die vor Lachen verzerrten Gesichter, ihre glänzenden Augen. Gabe hat sie in seinen Bann geschlagen - und mich ebenso.
    Mit neu gewonnenem Respekt sehe ich zu, wie er von einer trockenen Beobachtung zur nächsten geht, ohne dabei prätentiös oder oberlehrerhaft zu wirken. Er steht da, die Hände bequem in den Taschen, den Kopf lässig geneigt, und gibt seine Erlebnisse mit bemerkenswerter Treffsicherheit und einem engelsgleichen Lächeln zum Besten, dem man nicht widerstehen kann. Er ist tausendmal besser, als ich erwartet hatte. Diese wütende, ätzende Komik ist verschwunden, stattdessen steht er selbst, Gabe, dort oben. Ich verspüre einen Anflug von Stolz. Vielleicht hat er ja ein Quäntchen von meinen Ratschlägen umgesetzt.
    Und ehe ich mich’s versehe, strebt das Programm seinem Höhepunkt entgegen wie ein Schneeball, der an Schwung gewinnt. Die Lacher werden immer ausgelassener, Tränen kullern über die Wangen der Zuschauer. Ich sehe auf die Uhr. Nur noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher