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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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waren die Spuren des schicksalhaften Schusses zu sehen. Ein Schrotkorn war ins Lungenfell eingedrun­ gen, aber Rellonen hatte seine eigene Falle leider über­ lebt.
    Beim vorletzten Mal hatte er beschlossen, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Er hatte es jedoch nur ge­ schafft, sich die Vene an der linken Hand aufzusäbeln. Dann war er vom Anblick seines eigenen Blutes ohn­ mächtig geworden. Auch von diesem Versuch hatte er eine beachtliche Narbe zurückbehalten.
    Wegen dieser Misserfolge hatte Rellonen beschlossen, sich einen Revolver anzuschaffen. Er hatte geglaubt, sich damit endlich erfolgreich umbringen zu können. Aber wie der Oberst wusste, war er auch diesmal auf halbem Wege stehen geblieben.
    Oberst Kemppainen betrachtete die Narben. Er fand, dass Rellonen bei seinen Selbsttötungsversuchen eine bemerkenswerte Entschlossenheit an den Tag gelegt hatte. Er selbst, der Oberst, hatte zuvor keinen Selbst­ mordversuch unternommen. Sein Gefährte hingegen war ein erfahrener Veteran, dem man für mehrjährige Praxis auf dem Gebiet Anerkennung zollen musste.
    5
    Am Ende der ersten Juliwoche fuhr Onni Rellonen zur Helsinkier Hauptpost, um eventuelle Antworten auf das Zeitungsinserat, das vor einer Woche erschienen war, abzuholen. Er staunte nicht schlecht: Das Inserat hatte einen riesigen Erfolg gebracht, ein ganzer Arm voll Ant­ wortbriefe lag bereit. Sie passten nicht einmal alle in Onnis Aktentasche, er brauchte zusätzlich zwei Plastik­ tüten, die ebenfalls bis oben hin voll wurden.
    Onni Rellonen trug die ganze Ladung ins Auto und fuhr schleunigst nach Häme zurück. Die ungeheure Menge der Antworten entsetzte ihn. Hatten er und der Oberst eine Lawine ausgelöst, die sie womöglich nicht beherrschen würden? Die Brieflast im Kofferraum des Autos bedeutete ein unglaubliches Potenzial an Selbst­ zerstörung, es war eine schreckliche Fracht, mit der keineswegs zu spaßen war. Rellonen fürchtete, dass sie in ein Wespennest gestochen hatten und nicht nur mit ein paar Pieksern davonkommen würden.
    Im Sommerhaus angekommen, breitete er gemeinsam mit dem Oberst die Briefe auf dem Fußboden im Wohn­ zimmer aus. Zunächst zählten sie die Sendungen. Es waren genau sechshundertzwölf, davon fünfhundertvier­ zehn Briefe, sechsundneunzig Postkarten und zwei kleine Päckchen. Sie öffneten zuerst die Päckchen. Das eine war anonym abgesendet und enthielt ein Büschel langer Haare, sie stammten offensichtlich von einer Frau. Abgestempelt war das Päckchen in Oulu. Die Botschaft der Haare war schwer zu deuten, grausig wirkten sie in jedem Falle. In dem anderen Päckchen befand sich ein Manuskript von fünfhundert Seiten, das den Titel trug »Die Insel Hailuoto und ihre Selbstmorde im Verlaufe dieses Jahrhunderts«. Der Verfasser war ein Volksschullehrer aus Pulkkila, der in seinem Begleit­ schreiben beklagte, dass das Werk von den kommerziel­ len Verlegern sehr verächtlich behandelt worden sei, niemand von ihnen habe Interesse gezeigt, es zu veröf­ fentlichen. Nun frage er bei der Chiffre-Adresse an, ob man das bedeutende Manuskript nicht gemeinsam zur Publikation vorbereiten, es auf eigene Kosten drucken lassen und an die Buchhandlungen landesweit verteilen könnte. Er schätzte den Reingewinn aus der Publikation auf mindestens einhunderttausend Mark. Wenn er das Buch nicht veröffentlichen könnte, würde er sich um­ bringen. »Das Manuskript müssen wir zurückschicken, wir können uns nicht als Verleger aufspielen, auch nicht, wenn jemand mit seinem Tod droht«, entschied der Oberst.
    Die Briefe sortierten sie anhand der Poststempel un­ gefähr nach den Provinzen. Sie konnten feststellen, dass die meisten Zuschriften aus Uusimaa, aus Turku, Pori und Häme stammten. Auch Savo und Karjala waren gut vertreten, aber aus Oulu und Lappland war nur eine Hand voll Briefe dabei. Rellonen führte dies darauf zurück, dass die hauptstädtische Zeitung im Norden nicht so viel gelesen wurde wie im Zentralgebiet. Auch aus Österbotten waren nur wenige Zuschriften gekom­ men. Das wiederum konnte bedeuten, dass dort nicht so viele Selbstmorde begangen wurden wie anderswo. Die Leute von Österbotten bildeten wohl auch in dieser Hinsicht eine Ausnahme, vermutlich wurde bei ihnen die individuelle Selbsttötung als Verrat an der Dorfge­ meinschaft betrachtet.
    Die Männer lasen einige Karten und öffneten diesen und jenen Brief. Aus den Schreiben sprach große Ver­ zweiflung. Die selbstmordgefährdeten Menschen schrie­
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