Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolf

Der Wolf

Titel: Der Wolf
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
seinem Gesicht auszumachen, etwas in seiner Körperhaltung, in der Art, wie er auf dem Sofa saß, einen Körpergeruch, eine Eigenheit in seiner Stimme oder seinem Tonfall – irgendetwas, das zu erkennen gab, was er war. Es kam ihr vor, als starre sie im letzten Licht vor Einbruch der Dunkelheit auf die eintönige Weite der graublauen See. Die kleinen Wellenkräusel an der Oberfläche verbargen die Strömungen, die bei Einbruch der Nacht im Bund mit dem Wind und den Gezeiten zu einer heimtückischen Gefahr werden konnten. Hier lag offensichtlich seine Stärke: in seinem unscheinbaren Erscheinungsbild, hinter dem seine wahre Natur nicht zu erkennen war.
    Neben ihm bebte Mrs. Böser Wolf vor Empörung. Mit finsterer Miene beantwortete sie in schrillem Ton die Frage: »Wie kommen Sie nur darauf, er könnte je einen Menschen getötet haben!«, brach es aus ihr heraus. »Ich habe es überprüft! Ich hab sogar mit der Polizei gesprochen. Nirgends irgendwelche Beweise! Er ist Schriftsteller. Das sagte ich Ihnen doch bereits. Er muss recherchieren!«
    Karen nickte und ignorierte die Einlassung von Mrs. Böser Wolf. »Du lässt dich nie erwischen, stimmt’s?«
    Der Böse Wolf zuckte die Achseln.
    Sie wandte sich an seine Frau. »Und Sie …«, fing sie an, schluckte ihre Frage jedoch hinunter. Jede Antwort, die sie sich von ihr erhoffen mochte, stand der Frau des Wolfs deutlich ins Gesicht geschrieben.
Auch dein Leben wird sich von heute an dramatisch ändern, nicht wahr?
Manche Fragen erübrigten sich.
    Karen schauderte. Sie holte tief Luft und wandte sich wieder dem Wolf zu.
    »Was benutzt du am liebsten?«, fragte sie. »Schusswaffen? Messer? Deine Hände? Oder was anderes? Auf wie viele unterschiedliche Arten kann man töten?«
    »Jede Waffe hat ihre Vor- und ihre Nachteile«, erwiderte er. »Das kann dir jeder Thrillerautor sagen.« Er deutete mit einem Blick auf das Manuskript am Boden. »Steht alles da drin«, sagte er gereizt.
    Als Ärztin und als Comedian hatte Karen eine Lektion gelernt, die ihrer nächsten Frage zugrunde lag.
    »Kannst du jemanden töten, indem du ihn im Ungewissen lässt?«, fragte sie.
    Alle drei Roten beobachteten, dass in diesem Moment das Gesicht des Bösen Wolfs erstarrte. Zum ersten Mal sahen sie, wie sich bei ihm dieselben Zweifel einzunisten begannen, mit denen sie sich seit ihrer ersten Berührung mit ihrem Widersacher herumgeschlagen hatten. Seine Frau dagegen war verwirrt und schien die Frage nicht zu verstehen.
    Karen wartete keine Antwort ab.
    Sie trat vor. Als Erstes schnitt sie ihm mit der Schere eine Haarsträhne ab. Die wanderte in einen Plastikbeutel. Dann wischte sie mit einem Wattestäbchen über das Blut, das von Jordans dünnem Messerschnitt an seinem Hals gerann, und auch das kam in einen Plastikbeutel. Auf beiden Beuteln vermerkte sie mit dem schwarzen Marker gewissenhaft Uhrzeit und Datum. Dann hielt sie eine Hand in die Höhe und schnippte an dem sterilen, elastischen OP -Handschuh. Sie flüsterte dem Bösen Wolf zu: »Schätze, dein Laptop wimmelt nur so von deinen Fingerabdrücken. Von uns sind keine dran.« Sie ließ den Handschuh ein weiteres Mal vor seinem Gesicht zurückschnappen und holte ein neues Wattestäbchen heraus. »Den Mund weit öffnen«, sagte sie, als wäre sie in ihrer Praxis.
    Der Böse Wolf biss die Zähne zusammen. Karen sah ihn an. »Aber, aber, sag mal A!«, ermunterte sie ihn in liebenswürdigem Ton, der ihre geballte Wut kaschierte. So hätte sie mit einem Kind gesprochen, das der ärztlichen Anweisung nicht nachkommen wollte. Sie ging so in ihrer Nummer auf, dass sich der pochende Schmerz von ihrer gebrochenen Rippe verflüchtigte.
    Er öffnete den Mund. Sie entnahm ihm eine Speichelprobe, und wieder wanderte ein Wattestäbchen in einen Beutel. »Noch ein paar Zellen«, sagte sie. Dann stellte sie sich vor Mrs. Böser Wolf. »Und noch einmal die gleiche Prozedur«, sagte sie.
    Mrs. Böser Wolf schien aufrichtig erstaunt, als eine Strähne ihres Haars in einem Beutel verschwand, gefolgt von einer Blutprobe und einem Abstrich im Mund.
    Karen nahm die ganze Sammlung und steckte die Plastiktüten in Sarahs Tasche. Dann griff sie zu einem der Handys und knipste ein paar Fotos von den Wölfen. Bei den Nahaufnahmen achtete sie darauf, sie sowohl von vorne als auch im Profil festzuhalten.
    Als sie damit fertig war, wandte sie sich wieder an den Bösen Wolf.
    »Erklär deiner Frau, was wir eben gemacht haben«, sagte sie.
    »Blut, Haar, DNA .
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher