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Der Winterschmied

Der Winterschmied

Titel: Der Winterschmied
Autoren: Terry Pratchett
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immer dem Weberschiffchen des Webstuhls. Klickklack machte der Webstuhl. Klonkklank antwortete ihm die Uhr.
    Fräulein Verrat mit ihrem wehenden schwarzen Mantel, der Augenbinde und den zerzausten weißen Haaren... Fräulein Verrat mit ihren beiden Stöcken, wie sie in dunkler, kalter Nacht durch Hütte und Garten wanderte und die Erinnerung an Blumen einsog...
    Jede Hexe hatte ein besonderes Talent, und Fräulein Verrat kümmerte sich um Gerechtigkeit.
    Menschen reisten meilenweit, um ihr ihre Probleme vorzutragen:
    Ich weiß, dass es meine Kuh ist, aber er behauptet, sie gehört ihm!
    Sie sagt, es sei ihr Land, aber mein Vater hat es mir hinterlassen!
    ... und Fräulein Verrat saß an dem klickklackenden Webstuhl und wandte all den Ratsuchenden im Zimmer den Rücken zu. Der Webstuhl beunruhigte die Leute. Sie beobachteten ihn, als hätten sie Angst davor, und wurden dabei ihrerseits von den Raben beobachtet.
    Stotternd, mit vielen »Ähs« und »Öhs«, trugen sie ihr Anliegen vor, während der Webstuhl im flackernden Kerzenlicht klapperte. O ja... das Kerzenlicht...
    Als Kerzenhalter dienten zwei Schädel. In den einen war das Wort ENOCHI, in den anderen ATHOOTITA eingeschnitzt.
    Die Worte bedeuteten SCHULD und UNSCHULD. Tiffany wäre es lieber gewesen, sie hätte das nicht gewusst. Ein Mädchen, das im Kreideland aufgewachsen war, konnte so etwas gar nicht wissen, denn die Worte stammten aus einer fremden Sprache, noch dazu einer sehr alten. Der Grund dafür, weshalb sie ihre Bedeutung kannte, hieß Sensibel Hetzig, Dr. m. Phil., B. unh. S., Professor der Magie an der Unsichtbaren Universität. Er befand sich in ihrem Kopf.
    Zumindest ein kleiner Teil von ihm.
    Im vorletzten Sommer hatte sich ein Schwärmer in ihr eingenistet, ein... Geschöpf, das seit Millionen von Jahren Bewusstseine sammelte. Tiffany hatte es geschafft, ihn aus ihrem Kopf zu vertreiben, aber einige wenige Fragmente waren in ihrem Gehirn stecken geblieben. Bei einem davon handelte es sich um einen kleinen Egobrocken und ein Knäuel aus Erinnerungen, die Reste des verstorbenen Professor Hetzig. Er bereitete ihr kaum Probleme, aber wenn Tiffany etwas in einer fremden Sprache sah, konnte sie es lesen. Besser gesagt, Professor Hetzigs quäkende Stimme übersetzte es für sie. (Mehr schien nicht von ihm übrig zu sein, aber Tiffany vermied es, sich vor einem Spiegel zu entkleiden.)
    Von den Kerzen war Wachs auf die Schädel getropft, und die Leute im Zimmer warfen ihnen immer wieder verstohlene Blicke zu.
    Und dann, wenn alles gesagt war, stand der Webstuhl plötzlich still, und Fräulein Verrat drehte sich auf ihrem großen, schweren, mit Rädern ausgestatteten Stuhl um. Sie löste die schwarze Binde von den perlig-grauen Augen und sagte: »Ich habe gehört. Jetzt werde ich sehen. Ich werde sehen, was wahr ist.«
    An dieser Stelle, wenn Fräulein Verrat die Leute im Licht der Schädel anstarrte, geschah es häufig, dass jemand die Nerven verlor und die Flucht ergriff. Diese Augen, die das Gesicht eines Menschen nicht sehen konnten, blickten einem irgendwie bis in die Seele. Wenn Fräulein Verrat durch einen hindurchsah, musste man schon sehr, sehr dumm sein, um nicht die Wahrheit zu sagen.
    Und daher widersprach nie jemand ihrem Urteil.
    Es war Hexen nicht gestattet, sich für ihre Dienste bezahlen zu lassen, aber wer kam, um durch Fräulein Verrat einen Disput klären zu lassen, brachte ihr ein Geschenk mit, meist Lebensmittel, saubere gebrauchte Kleidung, sofern sie schwarz war, oder ein Paar alte Stiefel in ihrer Größe. Wenn das Urteil von Fräulein Verrat gegen einen ausfiel, so war es  (das erzählte man sich zumindest) keine gute Idee, das Geschenk zurückzuverlangen, es sei denn, man wollte in etwas Kleines, Klebriges verwandelt werden.
    Wenn man Fräulein Verrat belog, so hieß es, würde man innerhalb einer Woche eines schrecklichen Todes sterben. Es hieß weiter, dass Könige und Prinzen einen weiten Weg zurücklegten, um Fräulein Verrat des Nachts zu besuchen und sie in Hinsicht auf wichtige Staatsangelegenheiten um Rat zu fragen. In ihrem Keller lag angeblich ein Haufen Gold, bewacht von einem Dämon mit einer Haut wie Feuer und drei Köpfen, die jeden angriffen, den er sah, und ihm die Nase abbissen.
    Tiffany ging davon aus, dass zumindest zwei dieser Vermutungen nicht stimmten. Sie wusste, dass die dritte nicht der Wahrheit entsprach, denn eines Tages war sie (für alle Fälle mit einem Eimer Wasser und einem Schürhaken
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