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Der Winterschmied

Der Winterschmied

Titel: Der Winterschmied
Autoren: Terry Pratchett
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tropfte, dann lief man zu der schiefen alten Hütte auf der Lichtung. Wenn es keine Hoffnung mehr gab, bat man Oma Wetterwachs um Hilfe, denn sie war die Beste.
    Und sie kam immer. Immer. Aber war sie deshalb beliebt? Nein. Brauchen ist nicht das Gleiche wie Mögen. Oma Wetterwachs war dafür da, wenn die Dinge ernst wurden.
    Aber Tiffany mochte sie auf eine seltsame Art und Weise. Und sie glaubte, dass Oma Wetterwachs sie ebenfalls mochte. Sie erlaubte Tiffany, sie Oma zu nennen, obwohl alle anderen jungen Hexen sie mit Frau Wetterwachs ansprechen mussten. Manchmal glaubte Tiffany, dass Oma Wetterwachs Leute, die freundlich zu ihr waren, auf die Probe stellte, um herauszufinden, wie lange sie freundlich blieben. Bei Oma Wetterwachs war alles ein Test. »Das neue Buch heißt Erste Versuche in Hexerei«, fuhr Tiffany fort und beobachtete die alte Hexe aufmerksam. Oma Wetterwachs lächelte. Anders ausgedrückt: Ihre Mundwinkel rutschten ein wenig nach oben.
    »Ha!«, sagte sie. »Ich habe es schon einmal gesagt, und ich sage es wieder: Man kann die Hexerei nicht aus Büchern lernen. Letizia Ohrwurm glaubt, dass man Hexe werden kann, indem man einkaufen geht.« Sie bedachte Tiffany mit einem durchdringenden Blick und schien dabei zu überlegen. Dann fügte sie hinzu: »Ich wette, sie weiß nicht, wie man das hier macht.«
    Sie nahm ihre Tasse mit dem heißen Tee und wölbte die Hände darum. Dann löste sie eine Hand davon und ergriff Tiffanys Hand.
    »Bist du bereit?«, fragte Oma.
    »Wofür...?«, begann Tiffany und fühlte, wie ihre Hand heiß zu werden begann. Die Hitze breitete sich im Arm aus und wärmte ihn bis zum Knochen.
    »Spürst du es?«
    »Ja!«
    Die Wärme ließ wieder nach. Und Oma Wetterwachs drehte die Tasse um, ohne Tiffany aus den Augen zu lassen.
    Der Tee fiel als gefrorener Klumpen heraus.
    Tiffany war alt genug, nicht zu fragen: »Wie hast du das gemacht?« Oma Wetterwachs beantwortete keine dummen Fragen. Sie beantwortete fast nie Fragen, gleich welcher Art.
    »Du hast die Hitze verschoben«, sagte Tiffany. »Du hast die Hitze aus dem Tee genommen und durch dich auf mich übertragen, nicht wahr?«
    »Ja, aber ohne selbst etwas davon abzubekommen«, sagte Oma Wetterwachs triumphierend. »Es geht dabei um Gleichgewicht, verstehst du? Gleichgewicht ist der Trick. Bewahre das Gleichgewicht und...« Sie unterbrach sich. »Hast du jemals auf einer Wippe gesessen? Das eine Ende geht nach oben, das andere nach unten. Aber der Punkt in der Mitte, genau in der Mitte, bleibt, wo er ist. Die Aufwärts- und die Abwärtsbewegung gehen durch ihn hin durch, ohne ihn zu beeinflussen. Es spielt keine Rolle, wie weit nach oben oder nach unten die Wippe ausschlägt, er bewahrt immer das Gleichgewicht.« Sie schniefte. »Bei Magie geht es größtenteils darum, Dinge zu verschieben.«
    »Kann ich das lernen?«
    »Ich denke schon. Es ist nicht schwer, wenn man die richtige Einstellung findet.«
    »Kannst du es mich lehren?«
    »Das habe ich gerade. Ich habe es dir gezeigt.«
    »Nein, Oma, du hast mir gezeigt, wie es geht, aber nicht... wie man es macht.«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Ich weiß, wie ich es mache. Bei dir wird es anders sein. Du musst die richtige Einstellung haben.«
    »Und wie finde ich die richtige Einstellung?«
    »Woher soll ich das wissen? Da musst du schon deinen eigenen Verstand benutzen«, erwiderte Oma Wetterwachs spitz. »Setz noch einmal den Kessel auf, ja? Mein Tee ist kalt geworden.«
    Das Ganze hatte fast etwas Boshaftes, aber das war nun mal Omas Art. Sie vertrat den Standpunkt: Wenn man zu lernen imstande war, fand man irgendwann selber heraus, wie etwas funktionierte. Sie hielt es für falsch, anderen Dinge zu erleichtern. Das Leben war nun mal nicht einfach, meinte sie.
    »Wie ich sehe, trägst du noch immer diesen Flitterkram«, sagte Oma. Sie mochte keinen Flitterkram, ein Wort, mit dem sie alle metallenen Dinge benannte, die eine Hexe trug, ohne dass sie dazu dienten, etwas zu befestigen oder zu schließen.
    Tiffany berührte das silberne Pferd an ihrer Halskette. Es war klein und schlicht und bedeutete ihr viel.
    »Ja«, sagte sie ruhig. »Ich trage es noch immer.«
    »Was hast du da im Korb?«, fragte Oma, und das war ungewöhnlich unhöflich. Tiffanys Korb stand auf dem Tisch, und natürlich enthielt er ein Geschenk. Jeder wusste, dass man ein kleines Geschenk mitnahm, wenn man zu einem Besuch aufbrach. Aber die besuchte Hexe sollte sich überrascht zeigen, wenn sie es
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