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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein
Autoren: David Schönherr
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Von Pinsel und Palette tropfte es auf seine Schürze. Neben den Bögen lagen die Überreste eines Kohlestifts, nur eine Kugel war es noch.
    Kurz erhaschte Bros diesen Stumpf, sah das Bild an; dann sprudelte es aus ihm heraus: Das sei schier unmöglich, hier sei doch mit Farbe gearbeitet worden, nicht nur mit schwarzbraun!
    Das obere der beiden Bilder zeigte Ferdinands Schlafstätte, den winzigen Verschlag an der Seite der Werkstatt; aber es zeigte sie nicht nur, sie schien es tatsächlich zu sein. Das Gezeichnete trat für Bros förmlich aus dem Papier heraus und leuchtete voller Farben, stärker, als die wirkliche Welt seiner Meinung nach jemals dazu imstande war. Bros wurde von der Zeichnung geradezu aufgesogen.
    Ungläubig rieb sich der Meister die Augen: Kein einziger Unterschied zum Original war erkennbar! In seinem Kopf vollzog sich eine unaufhaltsame Verwandlung: Erst durch dieses Bild wurde dieser winzige unbedeutende Verschlag zu einem Teil der Wirklichkeit.
    Der Meister stand fassungslos da, starrte die obere der beiden Zeichnungen ungeniert an.
    Aber plötzlich riss er sich los.
    Das wollte er nicht sehen! Nicht jetzt!
    Er wollte auch kein weiteres Bild von Ferdinand Meerten sehen!
    Nicht jetzt, da er gerade stolz auf sein eigenes Werk war – aber wenn er es jetzt ansah, dann kam es ihm schlecht vor, unfassbar hässlich und aufgesetzt. Nichts davon hatte in irgendeiner Weise mit der Wirklichkeit zu tun!
    Nicht jetzt, da er keine Zeit mehr hatte, um das Bild erneut zu bearbeiten.
    Nicht jetzt!
    Bros stolperte zur Haustür, ließ Pinsel und Palette fallen und stürzte ins Freie.
    Luft, er brauchte Luft! Er erstickte noch bei diesem elenden Beruf. Was er nicht alles einatmen musste: die Farben, die Lösungen und vor allem den Staub.
    Und erst seine Kunden – wie die stanken!
    Nach Likör und Rotwein, nach teuren Parfums, nach den Ausdünstungen des Wohlstands.
    Bros sank auf die Bank vor seinem Haus.
    Was hatte er nicht alles werden können? Der Vater war ein bekannter und einflussreicher Händler gewesen, und seinen Brüdern war es ebenso ergangen. Alle in seiner Familie waren erfolgreich, wohlhabend und rundheraus angesehen – nur er, Meister Bros, er schlug aus der Art. Schon meinte er die Stimme des Vaters zu hören, lachende Gesichter bedrängten und quälten ihn, ein Flüstern stieg in ihm hoch: Dreck! Dreck! Alles nur Dreck!
    Gestank und Dreck, daraus bestand sein Handwerk. Er vermischte Dreck, verteilte ihn auf sauberen Laken und heraus kam – Dreck! Dreck, der irgendwem oder -etwas mehr oder weniger ähnlich sah – und dafür nahm er Geld.
    Pah! Schämen musste man sich!
    Der Meister schloss die Augen; er hörte kaum, wie der Bote des Grafen erschien, von Ferdinand ins Haus geführt wurde, von diesem das Bild präsentiert bekam. Kurz sah er auf, als der Bote mit einem euphorischen Aufschrei aus dem Haus stürzte, ihm einen prallen Beutel vor die Füße warf, das Bild zu einer Kutsche trug und in dieser davonjagte.
    Bros blieb sitzen; er wollte am liebsten für immer sitzen bleiben; hier, wo er immer saß, wenn er mit der Arbeit nicht vorankam: unter dem selbstgezimmerten Vordach, auf seiner Bank; bei Regen, in der Frühsommersonne, unter dem blauen Himmel, im Schnee, neben blühenden rauschenden Bäumen – hier wollte er für immer bleiben, hier sollte es mit ihm zu Ende gehen. Bros machte die Augen zu, lehnte sich ruhiger zurück.
    Irgendwann nickte er ein.
    * * *
    Als er erwachte, war es bereits später Nachmittag. Ferdinand schlief. Er lag neben Bros auf seiner Bank und hatte den Kopf auf die Beine des Meisters gelegt.
    Ohne Ferdinand zu wecken, stand Bros auf, legte behutsam dem Jungen seine Schürze unter den Kopf und machte ein paar Schritte, tauchte Kopf und Hände in eine Wassertonne und verharrte tropfend vor dem schlafenden Kind. Neben Ferdinands Kopf lag der Beutel. Bros langte danach, wog ihn in der Hand: Er war schwer, bis obenhin angefüllt mit Münzen.
    Bros lächelte und trat ins Haus, wollte den Ofen anheizen – doch der brannte schon. Die Werkstatt erstrahlte in Glanz und Sauberkeit, wie Bros es noch nicht erlebt hatte; alles war geordnet, verstaut, frei von Spinnweben und Staubfäden, und unter dem Arbeitstisch standen drei runde Schemel – von Brotresten und Apfelstielen keine Spur.
    Auf dem Tisch lagen fein sortiert Pinsel und Griffel, Leisten und Winkel, seine Lupe – die hatte Bros schon vermisst! –, ein halbvolles Tuschetöpfchen mit repariertem Deckel, mehrere
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