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Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher
Autoren: Michael Connelly
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Namensschild an seinem Hemd stand Rampone.
    »Wir haben zwei Tatorte«, erklärte er. »Der Klatscher ist hinten auf der Seite. Und das Zimmer, das sich der Typ genommen hat, ist im obersten Stock, Zimmernummer neunundsiebzig.«
    Für Polizisten war es gängige Praxis, den täglichen Schrecken, die der Job mit sich brachte, ihren menschlichen Aspekt zu nehmen. Selbstmörder, die in den Tod sprangen, wurden oft als Klatscher bezeichnet.
    Bosch hatte sein Funkgerät im Auto gelassen. Er deutete mit dem Kopf auf das Mikrophon an Rampones Schulter.
    »Versuchen Sie rauszufinden, wo Glanville und Solomon sind.«
    Rampone neigte den Kopf auf seine Schulter hinab und drückte auf den Sendeknopf. Wenig später hatte er die beiden Ermittler in Zimmer Nummer neunundsiebzig ausfindig gemacht.
    »Gut. Sagen Sie ihnen, sie sollen bleiben, wo sie sind. Wir sehen uns kurz hier unten um und kommen dann nach oben.«
    Bosch kehrte zum Auto zurück, nahm das Funkgerät aus der Ladestation und ging dann mit Chu um die Absperrung herum und den Gehsteig hinauf.
    »Soll ich schon mal nach oben fahren und mit den beiden reden, Harry?«, fragte Chu.
    »Nein, angefangen wird immer mit der Leiche. Alles Weitere kommt später. Immer.«
    Chu bearbeitete normalerweise ausschließlich kalte Fälle, bei denen es keine Tatorte mehr gab. Nur Berichte und Protokolle. Er hatte Probleme damit, Leichen anzusehen. Das war der Grund, weshalb er sich für die Kalte-Treffer-Einheit beworben hatte. Keine frischen Opfer, keine Tatorte, keine Obduktionen. Aber diesmal war es anders.
    Die Marmont Lane führte schmal und steil um das Hotel herum. Sie erreichten den Fundort der Leiche an der Nordwestecke des Hotels. Um die Stelle vor den Medienhubschraubern und den Bewohnern der Häuser abzuschirmen, die sich hinter dem Hotel den Hügel hinaufzogen, war ein Zeltdach darüber errichtet worden.
    Bevor Bosch unter die Abdeckung trat, blickte er am Hotel hoch. Im obersten Stockwerk beugte sich ein Mann in einem Anzug über die Brüstung eines Balkons und schaute nach unten. Bosch nahm an, es war Glanville oder Solomon, aber welcher von beiden, konnte er nicht erkennen.
    Unter dem Zeltdach wimmelte es von Kriminaltechnikern, Rechtsmedizinern und Polizeifotografen, und inmitten dieses Gewusels stand Gabriel Van Atta, ein alter Bekannter Boschs. Van Atta hatte fünfundzwanzig Jahre als Kriminaltechniker und Supervisor für das LAPD gearbeitet und nach seiner Pensionierung einen Job in der Rechtsmedizin angenommen. Jetzt bezog er ein Gehalt und eine Rente und untersuchte weiterhin Tatorte. Das kam Bosch sehr gelegen. Er wusste, dass Van Atta Klartext mit ihm reden würde. Er würde genau das sagen, was er dachte.
    Bosch und Chu waren zwar unter dem Dach, blieben aber am Rand. Im Moment gehörte der Tatort der Spurensicherung. Bosch stellte fest, dass der Tote umgedreht worden war und dass sie schon ziemlich weit waren. Die Leiche würde schon bald vom Tatort entfernt und in die Rechtsmedizin gebracht werden. Das störte ihn, aber es war der Preis, den man zahlte, wenn man so spät in ein Ermittlungsverfahren einstieg.
    Das verheerende Ausmaß der von sieben Etagen Schwerkraft verursachten Verletzungen war deutlich zu sehen. Bosch konnte beinahe spüren, wie es seinem Partner bei ihrem Anblick den Magen umdrehte. Er beschloss, Nachsicht mit ihm zu üben.
    »Weißt du was? Geh schon mal nach oben. Ich komme nach, sobald ich hier fertig bin.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Aber um die Obduktion wirst du nicht rumkommen.«
    »Das nenne ich ein Angebot, Harry.«
    Der Wortwechsel hatte Van Atta auf sie aufmerksam gemacht. »Harry B.«, sagte er. »Machst du nicht kalte Fälle?«
    »Das hier ist eine Ausnahme, Gabe. Okay, wenn ich reinkomme?«
    Damit war die Mitte des überdachten Bereichs gemeint. Van Atta winkte ihn zu sich. Während sich Chu unter dem Dach nach draußen durchduckte, nahm Bosch ein Paar Papierüberzieher aus einer Box und streifte sie über seine Schuhe. Dann tastete er sich, so gut es ging, an dem geronnenen Blut auf dem Gehsteig vorbei und kauerte neben George Thomas Irving oder dem, was von ihm noch übrig war, nieder.
    Der Tod nimmt einem alles, auch die Würde. George Irvings zerschmetterter nackter Körper war umringt von Kriminaltechnikern, die ihn als ein Stück Arbeit betrachteten. Seine irdische Hülle war nur noch ein zerfetzter Hautsack voll zerstörter Knochen, Organe und Blutgefäße. Durch alle natürlichen Körperöffnungen und die vielen
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