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Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Autoren: Iny Lorentz
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Tag klebte Blut an ihren Händen. Zu manchen Zeiten glaubte sie, es immer noch daran zu sehen. Auch jetzt eilte sie zum Wassereimer, um die Hände zu waschen, und kämpfte gegen das Gefühl an, Diebold von Renitz’ Blut würde sie zeichnen wie ein Kainsmal.
    Niedergeschlagen, weil sie sich an diesem Tag schon wieder mit der Vergangenheit beschäftigte, widmete sie sich ihrer Arbeit und blickte zwischendurch zu einem der kleinen Fenster hinaus, um zu sehen, ob Walther schon von seinem Kontrollgang zurückkam. Mit einem Mal entdeckte sie zwei Reiter und zuckte zusammen. Es waren Indianer – ihrem Aussehen nach Wilde, wie die Mexikaner sie bezeichneten.
    So rasch sie konnte eilte sie zur Tür und schob den Riegel vor. Anschließend nahm sie die Pistole, die ihr Mann zurückgelassen hatte, damit sie während seiner Abwesenheit nicht wehrlos war, und schüttete mit zitternden Händen Pulver auf die Zündpfanne.
    Erst als die Waffe schussfertig war, wagte sie erneut einen Blick ins Freie. Nun erst entdeckte sie bei den Indianern auch Walther, der wohl von einem Pferd verdeckt gewesen war. Er trug seine Büchse über der Schulter und unterhielt sich mit ihnen. Gisela atmete auf. Zwar wusste sie nicht, welchem Stamm die Reiter angehörten, aber sie schienen friedlich zu sein. Trotzdem blieb sie auf der Hut und wartete, bis die Männer vor dem Haus anhielten.
    Walther sah den Rauch, der aus dem einfachen Kamin aufstieg, und nahm an, dass seine Frau im Haus war. Da er sich vorstellen konnte, wie sie sich ängstigte, beschloss er, laut zu rufen: »Gisela, es ist alles in Ordnung! Die beiden wollen nur ein wenig Salz eintauschen!«
    Da er es auf Deutsch sagte, verstand Po’ha-bet’chy ihn nicht. Allerdings konnte der Nemene genug Englisch, um den Unterschied zu bemerken.
    »Du wirklich kein Mann aus dem Norden«, erklärte er. »Weiter oben am Fluss sind welche.«
    »Flussaufwärts gibt es amerikanische Siedlungen?« Walther wunderte sich, denn davon hatte er bislang nichts erfahren. Gleichzeitig dachte er, wie unsinnig es war, die Bewohner der Vereinigten Staaten Amerikaner zu nennen, da ja auch die Mexikaner auf demselben Kontinent lebten.
    Po’ha-bet’chy nickte zufrieden. Die Amerikaner, die er bisher kennengelernt hatte, sprachen anders als dieser Mann. Sie kauten die Worte beinahe, so dass man sie kaum verstand. Der Fremde aber sprach deutlich und mit merkbaren Pausen zwischen den einzelnen Worten.
    »Amerikaner so weit entfernt, wie ein Nemene an einem halben Tag reitet.«
    »Danke für die Auskunft!«, antwortete Walther nachdenklich.
    Bis jetzt hatte er geglaubt, die Siedler auf Ramón de Gamuzanas Landlos wären die einzigen im weiten Umkreis. Er fragte sich, weshalb Ramón de Gamuzanas Bruder Hernando oder Diego Jemelin nichts von anderen Ansiedlungen in der Gegend gesagt hatten.
    Während des kurzen Gesprächs hatte Gisela ihre Pistole in einer Tasche ihres Kleides versteckt und öffnete die Tür. »Guten Tag!«, grüßte sie unwillkürlich auf Deutsch.
    Die beiden Nemene beachteten sie nicht, sondern sahen Walther an.
    »Salz!«, forderte Po’ha-bet’chy.
    Walther trat ins Haus und öffnete die Kiste mit dem grobkörnigen Salz, das an einigen Stellen der Küste gewonnen wurde. Er füllte zwei Handvoll in einen Lederbeutel und reichte diesen dem Nemene, der ihm ins Haus gefolgt war.
    »So viel kann ich dir mit gutem Gewissen geben!«
    Po’ha-bet’chy musterte den Beutel, blickte sich dann in dem einen Raum um, aus dem das Bauwerk bestand, und sah zuletzt Gisela an. Ihr schwarzes Haar ließ ihre bleichen Züge schärfer hervortreten, und ihre Schwangerschaft war unübersehbar. Allerdings roch sie nicht gesund. Daher wahrte er Abstand von ihr, nahm den Beutel mit dem Salz und ging wieder hinaus. Mit einem einzigen Satz saß er auf seinem Pferd und lenkte es allein mit den Schenkeln. Bevor er losritt, nahm er seinem Freund eines der beiden Präriehühner ab und warf es Walther zu.
    »Für Salz«, sagte er und trieb sein Pferd fast ansatzlos in den Galopp. Ta’by-to’savit folgte ihm mit schrillen Rufen. Innerhalb kürzester Zeit waren die beiden außer Schussweite und verschwanden wenig später hinter den Hügeln.
    Walther blickte ihnen nach, bis sie am Horizont verschwunden waren, und atmete dann erleichtert auf. Gott sei Dank war alles gutgegangen, aber ihm war klar, dass nicht jeder Besuch eines Indianers so friedlich enden würde wie dieser.
    Nun lobte er Gisela wegen ihrer Beherztheit und zog sie an
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