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Der Weihnachtsfluch - Roman

Der Weihnachtsfluch - Roman

Titel: Der Weihnachtsfluch - Roman
Autoren: Heyne
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solange sie lebte. Ja, sie war eine gute Frau, und wir taten ihr den Gefallen, sie wie eine verheiratete Frau mit ›Mrs.‹ anzusprechen.«
    »Padraic ist also hier zur Welt gekommen?«, fragte Emily ungläubig. Nicht die Schande seiner Kindheit schockierte sie, obwohl das schwer genug gewesen sein musste, vielmehr war es die Tatsache, dass er in den Augen eines Iren durch seine Geburt und durch seine Erziehung Engländer war, auch wenn sein Herz anders schlug.
    Die Schwester nickte. »Natürlich konnte er, als er vierzehn war, nicht länger hierbleiben, weil wir nicht weiter für ihn aufkommen konnten. Wenn die Kinder erst einmal alt genug sind, um zu arbeiten, gibt es keine Unterstützung mehr, und hier gab es keine Arbeit für ihn. Er war ein guter Schüler. Er ging für einige Zeit nach Dublin, dann nach Sligo hoch und zuletzt kam er hier an die Küste, wo er auch blieb.«

    »Und Mrs. Riordan hat das alles gewusst?«, fragte Emily bedächtig, während ihre unschönen Gedanken langsam Gestalt annahmen. Connor muss sich wohl Stück für Stück alles zusammengereimt haben und wusste genau, wer Padraic war, nicht der irische Dichter und Patriot, für den er sich ausgab, sondern der uneheliche Sohn eines reichen Engländers und dessen verstoßenen Dienstmädchens. Hätte Connor das weitererzählt? Wer wollte wohl das Risiko eingehen, dass er es täte?
    »Danke«, sagte sie zu der Oberschwester und stand plötzlich ganz steif auf, als ob all ihre Knochen schmerzten. »Morgen werde ich zurückfahren und Susannah erzählen, was ich in Erfahrung gebracht habe. Zumindest weiß sie dann Bescheid. Was sie damit anfängt, ist ihre Sache.«
    Den Rest des Tages verbrachte sie in Galway, weil sie nicht riskieren wollte, zurückzufahren und auf der letzten Wegstrecke in die Dunkelheit zu geraten. Nach dem Frühstück bezahlte sie die Rechnung und um neun Uhr war sie schon unterwegs. Allerdings war sie in gedrückter Stimmung. Sie verstand nur allzu gut, warum Hugo Ross es vorgezogen hatte, nichts zu sagen.
    Padraic Yorke hatte Connor getötet und wahrscheinlich war es ein Mord gewesen. Im besten Fall hatte es einen Streit gegeben, der auf verhängnisvolle Weise ausgeartet war. Aber kein anderer als Yorke konnte wissen, was geschehen war, der Spott, das Gelächter, die Demütigungen, die er womöglich hätte ertragen müssen. Vielleicht hätte man über ihn hergezogen, ihn auf unerträgliche
Weise verhöhnt, vielleicht hätte man sogar seine Mutter unanständig beleidigt. Sie war ja selbst Opfer gewesen. Vielleicht war es ein Unfall gewesen, vielleicht hatte Connor gar nicht zu Tode kommen sollen.
    Oder könnte es ein berechnender Mord gewesen sein? Ein Schlag von hinten, von einem Feigling gegen einen Mann ausgeführt, der rein zufällig Informationen hatte, von denen er nie die Absicht hatte, Gebrauch zu machen.
    Hatte Hugo Ross das gewusst? Hatte er mit Padraic Yorke gesprochen? Oder hatte auch er geschwiegen? War ihm überhaupt bewusst gewesen, was er da verheimlichte? Von allem, was sie von Susannah über ihn wusste, glaubte sie, dass es ihm sehr wohl bewusst gewesen war.
    Was er allerdings nicht gewusst hatte, war, wie die Angst und die Schuld sich langsam wie ein Gift in den letzten Winkel des Dorfes hineinfressen würden, bis es sterben würde, jeden Tag ein bisschen mehr, ein neuer Verdacht hier, eine hochkommende Angst dort, noch eine Lüge, um eine alte zu verdecken. Die Selbstzweifel von Father Tyndale und schließlich sogar sein Zweifeln an Gott.
    Sie hatte den See hinter sich gelassen und fuhr nun Richtung Oughterard. Der Wind riss blaue Löcher in den wolkigen Himmel, und die Sonne strahlte über den Bergen. Die Hänge waren beinahe golden und schwarze, hervorstechende Steinruinen glänzten nass. Dann sah sie vor sich auf der Straße einen Mann. Er schritt zügig voran, als ob er für eine lange Strecke das Tempo halten wollte. Ob er wohl in Oughterard wohnte? Zu
beiden Seiten der Straße waren weit und breit kein Haus und keine Farm zu sehen.
    Sollte sie ihm eine Mitfahrgelegenheit anbieten? Das kam ihr nicht ratsam vor. Aber es war unmenschlich, einfach an ihm vorbeizufahren und ihn bei dem Wind auf der holprigen Straße zu Fuß weitergehen zu lassen.
    Erst als sie ihn fast eingeholt hatte, erkannte sie Brendan Flaherty. Sie brachte das Pony zum Stehen.
    »Kann ich Sie mitnehmen, Mr. Flaherty? Ich fahre nach Hause zurück.«
    »Ist das Dorf schon Ihr Zuhause?« fragte er lächelnd. »Das ist wirklich sehr
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