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Der Weg ins Dunkel

Der Weg ins Dunkel

Titel: Der Weg ins Dunkel
Autoren: Patrick Woodhead
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gemacht. Schließlich fand er sie in Bunia auf der Straße, so unterernährt, dass ihr Bauch schon ganz geschwollen war, den Kopf voller Läuse und bekleidet mit nichts als einem zerlumpten T-Shirt und einer jener Glasperlenketten um den Bauch, die jedes Hemamädchen am Tage seiner Geburt geschenkt bekommt.
    Ohne Papiere oder Zeugen hatte Jean-Luc sie über die Grenze nach Ruanda geschmuggelt. Im Laufe der Jahre waren sie dann nach Uganda, Liberia, Angola und Sierra Leone gezogen, in jedes gottverlassene Kaff, in dem Jean-Lucs Söldnertruppe Geld verdienen konnte. Bear kannte es nicht anders, es war ihr Leben, und sie fand es ganz normal. Sie war ein kleines Mädchen, das in irgendeinem Hotel mit verblichenem Kolonialcharme, abblätterndem Putz und unglaublich hilfsbereitem Personal wohnte und seine Hausaufgaben für den nächsten Schultag so gut wie möglich zu erledigen versuchte. Oft versteckte sie sich im Tanzsaal unter dem Flügel und verbesserte ihr Englisch, indem sie dem BBC World Service lauschte.
    Nach jedem Ortswechsel musste sie sich neu einleben und ihren Platz behaupten, sich eine eigene kleine Welt in all dem Chaos einrichten, während ihr Vater mit seinen Kameraden in den Busch ging und in jedem neuen Krieg ein Stückchen mehr von seiner Seele verlor.
    Sierra Leone hatte ihm den Rest gegeben. Irgendetwas Furchtbares musste dort passiert sein, als er die Revolutionäre der RUF bekämpfte. Später brauchte man Freetown bloß zu erwähnen, und seine Miene verdüsterte sich.
    Danach fing er an zu trinken. So maßlos, dass die Ereignisse der letzten Wochen und Monate in seiner Erinnerung zu einem einzigen Durcheinander verschmolzen und von den verschiedenen Einsätzen nichts als monoton vorgetragene Schreckensbilder übrig blieben. Die jeweiligen Einsätze schienen ohnehin mehr oder weniger sinnlos zu sein, und wenn kurz darauf der nächste Autokrat nach der Macht griff, irgendwo auf dem Kontinent neue Kämpfe anzettelte und Jean-Luc den nächsten Job verschaffte, wurden sie noch sinnloser. Langsam wurde er Bear fremd. Er entwickelte Charaktereigenschaften, die ihr völlig neu waren, bis er wie einer von denen wurde, die er eigentlich bekämpfte.
    Die anderen aus seiner Einheit versuchten es zu vertuschen, vor allem Laurent und Marcel. Sie erfanden Ausreden für ihn und sagten etwas von Malaria oder Unpässlichkeit, aber diese Ausreden wurden immer unglaubwürdiger und wiederholten sich ständig. Erst als Bear ein Stipendium für die Universität von Kapstadt bekam und aus ihrem gewohnten Leben ausbrach, wurde ihr klar, wie tief sie gesunken waren – oder wie schlimm alles von Anfang an gewesen war.
    Einige Jahre später hatte ihr Vater sie in Kapstadt besucht, um sich mit ihr zu versöhnen, doch statt die Beziehung zu kitten, verbrachte er den kompletten ersten Tag mit einem Engländer im Restaurant Uitsig in den Weinbergen und pegelte sich ab dem Mittagessen langsam hoch. Am Abend besuchten sie alle einen Nachtclub in der Long Street, und Jean-Luc vögelte eine Freundin von Bear auf der Toilette, bevor er die Garderobiere anpöbelte, weil er glaubte, ein besseres Jackett abgegeben zu haben als das, was sie ihm später aushändigte. Es endete damit, dass er den Türsteher bewusstlos schlug und Bear ihn in eine dunkle Seitenstraße zog, um ihn erst einmal zu beruhigen. Als sie dort vor ihm stand und ihm den Rückweg zum Nachtclub versperrte, sah sie eine bluttriefende Kampfmaschine, einen volltrunkenen Irren vor sich. Dieser Mann war nicht mehr ihr Vater.
    Sie sah auf seine Hände, die sich zur Faust ballten und wieder öffneten, und sie merkte, dass ihr schlecht wurde. Er kam ihr so widerlich und erbärmlich vor, als stünde der personifizierte Schrecken der zahllosen innerafrikanischen Kriege vor ihr.
    Später erfuhr sie, dass es sich bei dem Engländer, mit dem ihr Vater im Restaurant gewesen war, um den Söldnerführer Simon Mann handelte und dass ihr Vater an dessen Putschversuch von Äquatorialguinea beteiligt gewesen war. Irgendwie war Jean-Luc der Massenverhaftung in Zimbabwe entgangen und hatte sich nach Norden ins Grenzgebiet zwischen Ruanda und dem Kongo abgesetzt. Dort war seine Einheit inzwischen stationiert und führte Helikopterflüge durch, bei denen es sich offiziell um Frachttransporte handelte, doch angesichts der illegalen Ausfuhr aller möglichen Rohstoffe aus dem östlichen Kongo, von Diamanten bis Coltan, Uran bis Kupfer, musste Bear wohl davon ausgehen, dass aus ihrem Vater ein
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