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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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eingestehen, daß sein Herz in heftigen Stößen klopfte und das Blut durch die Pulse jagte. Seine Schläfenader war angeschwollen. Leise rieselte der Sand durch seine Finger. Sein Blick war stechend darauf gerichtet, wie eine Lanzenspitze, die das Ziel sucht. Ah!
    Red Jim setzte sich auf den rundgewaschenen Felsblock, in dessen Schutz der Sand angeschwemmt war. Er blickte in seine Hand, die er ein wenig zusammengebogen hatte, wie ein Mensch, der mit der Hand Wasser zum Trinken schöpfen will. Zwischen zwei Fingern hatte sich ein winziges Goldkorn festgeklemmt. Ein winziges Sandkorn, ein Staubkorn aus purem Gold! Der Mann starrte unentwegt darauf. Er wußte selbst nicht, wie lange er so saß, unbeweglich, von seinem Funde festgehalten wie ein Stück Eisen von einem Magneten.
    Endlich ließ er das Körnchen in seine Brusttasche fallen. Gold! Es stand damit fest, daß sich auch auf dieser Seite des Bergstocks Gold finden ließ, nicht nur auf der Nordseite, von der schon soviel gemunkelt wurde. Er, der Rote Jim, hatte den Anfang zu seinem neuen Leben gefunden. Die Phantasiebilder gaukelten vor seinem inneren Auge; er schloß die Lider, um sie ganz zu genießen. Da drang irgend etwas in sein Ohr, was ihn störte. Er war sofort ganz wach, horchte und öffnete die Augen. Was er gehört hatte, wurde ihm nachträglich klar. Ein Pferd hatte auf der Prärie gewiehert. Es konnte sich um wilde Pferde handeln oder um gezähmte, um indianische Reiter oder um Weiße. Wenn Jim jetzt noch von Glück sprechen wollte, dann nur von dem, daß er Büchse und Proviant bei sich trug und sein Versteck geräumt hatte. Er war voll beweglich, ganz unabhängig. Sowie es die äußerste Vorsicht erlaubte, schlich er sich vom Flusse weg und durch den Wald zu einem Baum, der sich leicht erklettern ließ und gute Aussicht versprach. Gewandt turnte er hinauf und verbarg sich, während er durch das Laub hindurch auf die Prärie spähte. Himmel, Hölle, Donner und Teufel! Verdammt alles … Er erkannte nördlich in der Ferne eine Indianerschar. Noch waren Reiter und Pferde in der Perspektive klein wie Ameisen, aber er vermochte sie schon zu zählen und bis zu einem gewissen Grade zu unterscheiden. Vierzig Krieger zu Pferd waren es, außerdem etwa sechzig Frauen und Kinder, alle ebenfalls beritten. Nach einigen Minuten erkannte er bereits, daß unter den Männern fünf die Adlerfederkronen trugen. Das waren ungewöhnlich viel ausgezeichnete Krieger und Häuptlinge in der kleinen Schar. Es mußte sich um Dakota handeln. Wohin strebten sie? The Red behielt sie im Auge. Wenn seine Blicke hätten vernichten können, wären die Indianer alle vom Erdboden verschlungen worden. Aber der Haß des Goldsuchers war machtlos. Von der Reiterschar, die Jim beobachtete, lösten sich vier Punkte. Vier Reiter waren abgestiegen und verschwanden für den Beobachter im Grase. Er zweifelte nicht, daß es sich um Kundschafter handelte, die den Wald durchspähen sollten, ehe die Wandergruppe ihn betrat.
    Nun viel Vergnügen, ihr Kundschafter, strengt eure Augen und Ohren nur an. Euren Feind mit dem Namen The Red findet ihr nicht! So dachte der Mann und blieb unbeweglich.
    Nach einiger Zeit entdeckte er von seinem verborgenen Sitze aus einen jungen Indianer mit Scheitel und Zöpfen, der am Ufer des Flusses entlangschlich. Der Bursche hatte die für die Dakota charakteristische elastische Steinkeule zur Hand. Sein Gesicht war nicht bemalt. Er befand sich also nicht auf dem Kriegspfade, sondern hatte von seinem Anführer nur den Auftrag für den üblichen Spähdienst als Vorsichtsmaßnahme in aufgeregten Zeiten erhalten.
    Der junge Kundschafter verschwand flußabwärts. Die Indianerschar draußen auf der Prärie hatte ihr Tempo verlangsamt, war dem Wald und den Bergen aber stetig näher gekommen. Jim konnte nicht bemerken, ob die Kundschafter schon zu dem Trupp zurückgekehrt waren oder nicht. Er schloß aber aus dem Verhalten der Schar, daß sie beruhigende Nachsicht erhalten hatte. Sie beschleunigte ihr Tempo wieder und bog schließlich in den Wald ein. Wahrscheinlich strebte sie der Lichtung zu, auf der im Frühling die Bärenbande gerastet hatte. In dem Augenblick, in dem die Reiter zum Wald eingebogen waren, hatte Jim den Indianer an der Spitze der Schar erkannt. Dieser Mann mit der Adlerfederkrone war Sitting Bull oder Tatanka-yotanka, wie ihn die Dakota nannten. Das hatte noch gefehlt! Ebendieser hatte noch gefehlt, um das Mißgeschick des Roten Jim vollständig zu
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