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Der Weg des Unsterblichen

Der Weg des Unsterblichen

Titel: Der Weg des Unsterblichen
Autoren: Anne Lueck
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noch am Tod meines Vaters zu knabbern hatte. Malu wardamals noch nicht geboren gewesen, sie hatte ihn nie kennengelernt. Aber meine Mutter hatte in dieser einen verhängnisvollen Nacht herausgefunden, dass mein Vater mit den Feinden der Gesellschaft zusammenarbeitete und obendrein die Liebe ihres Lebens verloren. Auf einmal hatte sie allein dagestanden, schwanger und mit einer siebenjährigen Tochter.
    »Es tut mir leid.«, murmelte ich. »Ich hätte nicht davon anfangen sollen.«
    »Mir tut es auch leid.« Meine Mutter fuhr sich durch die langen, braunen Haare. »Ich wollte dich an deinem Geburtstag nicht unbedingt anschreien.« Sie lächelte mich an, als wäre der vergangene Streit nie passiert, aber tief in ihren Augen konnte ich noch immer etwas von dem Schmerz sehen, den sie sonst so gut vor uns verbarg. »Hast du denn gar keinen Hunger?«
    Ich folgte ihrem Blick auf meinen Teller, wo der Cheeseburger noch fast komplett vor mir lag. Der Käse war bereits heruntergetropft und das Brötchen wirkte etwas eingefallen. Ich warf einen schnellen Blick zu der Uhr, die über unserem Kühlschrank an der weißen Wand hing.»Doch schon, aber ich muss gleich wieder los. Moni hat mich ins Kino eingeladen und ich will nicht zu spät kommen.«
    »Ach ja, euer jährliches Ritual.« Meine Mutter erhob sich schwerfällig und ich biss mir schuldbewusst auf die Unterlippe. Auf einmal wirkte sie, als wäre sie in den letzten Minuten um Jahre gealtert. »Dann packe ich dir deinen Burger ein und noch einen für Monja.«
    »Darf ich mitkommen?« Malu schickte mir durch ihre großen, glänzenden Augen einen Hundeblick über den Tisch. Wahrscheinlich waren ich und meine Mutter die einzigen Personen, die diesem Blick ohne bleibende Schäden standhalten konnten.
    »Auf keinen Fall!«, sagte ich gnadenlos. »Der Film ist nichts für kleine Mädchen!«
    Sofort hob meine Mutter misstrauisch den Kopf und ich fügte schnell noch hinzu: »Er ist auch nichts für ganz große Mädchen, keine Sorge!«
    “Das will ich hoffen. Du bist fünfzehn.” Sie schien erleichtert und hielt mir eine Tüte mit zwei säuberlich verpackten Burgern hin,inklusive meinem gurkenlosen. »Lass deine Schwester allein gehen, Malu. An deinem Geburtstag kannst du auch machen, was du willst und Noé muss zu Hause bleiben!«
    »Noé kann ruhig mitkommen!«, bot Malu mir großzügig an, aber ich lachte nur. »Danke, ich verzichte.« Dann nahm ich die mir gereichte Tüte und drückte meiner Mutter einen Kuss auf die Wange, von dem ich hoffte, dass er meine Schuld an dem Streit wieder verblassen ließe. Sie lächelte mich sanft an.
    Das »pass auf dich auf!« von ihr hörte ich noch hinter mir herschallen, als ich schon den Flur entlangschoss und schließlich die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ. Ich holte noch einmal tief Luft, um die aufsteigende, freudige Erregung in mir genießen zu können, bevor ich wieder den knirschenden Kiesweg entlangging. Diesmal lief ich in die entgegengesetzte Richtung als heute Morgen. Dieser Weg führte zum Stadtrand. Der Himmel über mir hatte bereits ein tiefes Tintenblau angenommen, aber der Vollmond stand hoch und beschien den Weg mit ausreichend Licht. Ich ließ die Tüte in meinerrechten Hand rhythmisch hin- und her schwingen, während ich begann, ein Geburtstagslied zu pfeifen.
    Es dauerte nicht lange, bis ich aus der Stadt raus war, der Weg schmaler und die Bäume um mich herum dichter wurden. Ich sog die frische Waldluft ein, die so wunderbar nach Regen und Gras duftete. Mein Pfeifen wurde lauter, meine Schritte schneller, aber es war nicht aus Angst. Im Gegensatz zu den meisten Menschen meiner Heimat fühlte ich mich im Wald sicherer als sonst irgendwo auf der Welt.
    Noch wenige Schritte und ich war endlich an meinem Ziel angekommen, wenn auch etwas außer Atem. Dass ich den ganzen Weg ein wenig bergauf gegangen war, zeigte sich jetzt: Ich stand vor einem grasbewachsenen Hang, von dem es auf der anderen Seite ziemlich steil nach unten ging. Am Horizont konnte man die nächste Stadt sehen, ihre Lichter glitzerten durch die Dunkelheit zu mir herüber.
    An der Klippe saß bereits jemand und ich fragte mich, ob er schon lange dort gewartet hatte. Langsam ging ich auf ihn zu und ließ dieTüte mit den Cheeseburgern auf seinen Schoß fallen. »Alles Gute zum Geburtstag.«
    Er wandte sich mir zu und grinste mich an. »Gleichfalls. Du hast ganz schön auf dich warten lassen.«
    »Hatte einen kleinen Streit mit meiner Mutter, sorry.«
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