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Der Weg des Unsterblichen

Der Weg des Unsterblichen

Titel: Der Weg des Unsterblichen
Autoren: Anne Lueck
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Ich ließ mich neben ihn fallen, die Beine ebenfalls von der Klippe hängend. Wie oft hatte meine Mutter mir schon verboten, hier hochzukommen, weil es viel zu gefährlich war, so nah an der Klippe zu sitzen. Und wie oft hatte ich diese Warnung schon ignoriert und war dennoch hier hinauf gestiegen. Über mein Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln.
    »Ein Streit?« Es war eine Frage, aber er klang nicht sonderlich interessiert, also sparte ich mir eine Antwort. Viel lieber drehte ich mich zur Seite und sah ihm dabei zu, wie er den Cheeseburger in sich hineinstopfte. Gefährliche Reißzähne? Naja, seine Schneidezähne erinnerten eher an einen Babyvampir. Gefährliche, gelbe Augen? Ich würde sie eher als karamell-golden bezeichnen.
    »Sagst du mir diesmal, wie alt du geworden bist?«
    »Verdammte Scheiße, Noé.« Er schob die Kapuze seines schwarzen Pullis vom Kopf und schüttelte die blonden, fast weißen Haare. Sie sahen aus, als wäre er nur knapp einem Staubsauger entkommen. Und das lag nicht an der Kapuze - er sah immer so aus. »Seit zehn Jahren stellst du mir die gleiche Frage, langsam musst du’s doch verstanden haben: Dämonen stellt man so eine Frage nicht.«
    Ich rückte näher an ihn heran. »Tausend? Zweitausend Jahre? Komm schon, sag was! Du weißt schließlich auch, wie alt ich bin. Ein Tipp, ein kleiner Hinweis, bitte!«
    Er brummte nur und biss in den zweiten Burger, bevor er mich vorwurfsvoll ansah. »Auf dem hier sind keine Gurken drauf.«
    »Ja, die habe ich gegessen.« Ich packte seinen Arm. »Komm schon, Azriel. Sieh es als mein Geburtstagsgeschenk an. Du musst doch langsam ein schlechtes Gewissen haben, dass ich seit zehn Jahren zu meinem Geburtstag Cheeseburger ertrage, obwohl ich sie gar nicht mag, nur um einGeschenk für dich zu haben! Du hattest schließlich nie eins für mich. Na, drückt das schlechte Gewissen?«
    »Ehrlich gesagt, nein.« Azriel ließ die Papiertüte los und sie flatterte, getrieben vom Wind, von der Klippe herunter, einen kleinen Tanz in der Luft vollführend. »Ich bin hier, das sollte Geschenk genug sein. Vielleicht verrate ich dir mein Alter, wenn ich meinen letzten Atemzug aushauche.« Damit ließ er sich auf den Rücken fallen, in das eigentlich viel zu stachelige Gras, und seufzte zufrieden.
    Ich sah verträumt der tanzenden Tüte nach, bis sie aus meinem Blickfeld verschwand, dann sah ich wieder Azriel an. Er hatte die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Sein letzter Atemzug? Lächerlich, dieser Typ würde wahrscheinlich noch zwei, drei Generationen nach mir überleben. Aber eigentlich hatte ich auch nicht erwartet, dieses Jahr eine Antwort zu bekommen.
    Eine Weile herrschte tiefe Stille zwischen uns. Nicht diese Art von Stille, die man als unangenehm empfindet, es war mehr eineberuhigende Ruhe. Ich lauschte auf die nächtlichen Geräusche des Waldes, das Rauschen der Bäume im Wind und das leise Rufen einer Eule. Langsam spürte ich, wie die Luft sich abkühlte und mir eine sanfte Gänsehaut über die Haut kroch. Ich rieb mir die Arme, bevor mein Blick wieder zu Azriel wanderte.
    »Weißt du etwas von anderen Dämonen, die sich hier in der Gegend herumtreiben?«
    Er öffnete die Augen nicht, aber ich konnte sehen, wie sich seine Stirn kräuselte. »Woher soll ich wissen, wer hier noch herumlungert?«
    »Hätte ja sein können, dass du irgendetwas mitbekommen hast.«
    »Hm…warum willst du das wissen?«
    »Es wurde schon wieder jemand aus der Stadt verhaftet, weil er mit Dämonen Handel betrieben haben soll.«
    Azriel gab ein kurzes, knurrendes Lachen von sich. »Unglaublich, was ihr euch von diesem Geflügel gefallen lasst.« Er schüttelte den Kopf. »Wie viele Jahre wollt ihr euch noch so unterdrücken lassen?«
    Ich schob die Unterlippe nach vorn, wie Monja es sonst immer tat. »Du hast leicht reden. Ich kann mich nicht in Luft auflösen, wenn es brenzlig wird, und dann ein paar hundert Jahre später wieder auftauchen, wenn sich die Situation beruhigt hat.«
    »Stimmt, da war ja ein Haken.« Azriel lachte wieder und setzte sich auf. »Ist auch nicht so, dass es mich großartig interessieren würde, ist ja schließlich euer Problem und nicht meins.«
    »Ich wäre gern ein Dämon. Diese Scheiß-Egal-Haltung kann nur gut sein für die Psyche.«
    »Ja, wenn ich ein Mensch wäre, wäre ich auch lieber ein Dämon.« Er streckte sich, gähnte und sah mich dann aus seinen katzenähnlichen Augen gelangweilt an. »Erzählst du mir jetzt, warum du dich mit
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