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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten
Autoren: Kari F. Braenne
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Punkt nähern, ist das Geräusch des Waldbrandes schwächer. Sie drehen sich um und stellen fest, dass das Feuer ihnen nicht gefolgt ist. Vielleicht ist es hier unten zu feucht, zu wenig Futter für die Flammen. Vielleicht hat der Wind gedreht.
    In der Klamm ist es genauso kühl wie tags zuvor. Der Bach murmelt ruhig. Der Kolk ist still. Atemlos sinken sie ins Moos. Robert trinkt aus der Hand, Lukas legt sich auf den Bauch und schlürft das Wasser direkt aus der Quelle.
     
    Nachdem sie die Schlucht verlassen haben, müssen sie nur noch ein paar hundert Meter Urwald durchqueren, dann erreichen sie die Straße. Die Flammen sind noch nicht hier angekommen, aber beim Laufen spüren sie die zunehmende Hitze. Am Wagen sucht Robert mit fliegenden Fingern nach den Schlüsseln und sperrt die Türen auf. Sie steigen ein, er startet den Motor.

[zur Inhaltsübersicht]
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    Wie weich das Bett ist, so sanft und weiß wie eine Wolke. Ihr gegenüber – die hereinflutende Sonne. Wie schön, dass sie das immer noch sieht.
    Die Nacht war schwarz, genauso dunkel wie zu Hause. Evelyn hatte geglaubt, sie müsse darin verschwinden. Wollte es beinahe. Hatte es verdient, von der Dunkelheit geholt zu werden. Aber es ist nicht ihr passiert, sondern der Frau im Bett nebenan.
    Die Fenstersprossen sind ein Kreuz in der Sonne. Die Frau im Nachbarbett ist bis zum Kinn zugedeckt, und ihr Mund steht halb offen, in erstarrtem Profil. Sie hat keine Farbe. Die Frau ist weiß. Aber auf dem Nachttisch stehen drei Blumensträuße. Evelyn betrachtet sie blinzelnd. Was für eine Farbenpracht, so schön arrangiert. Wenn sie lange genug darauf starrt, kann sie beinahe eine Blumenwiese erkennen. Kann spüren, wie die Sonne auf den roten Wangen brennt, auf den gebräunten Armen. Wie glatt und stark sie sind. Sie kann eine Hummel summen und einen Grashüpfer zirpen hören, kann ein Lachen vernehmen (ihr eigenes!). Sieht die Wolken über einen endlosen blauen Himmel ziehen und dass die Erde rund ist und sich dreht. Der Raum bewegt sich wieder leicht, sie reißt die Augen auf, klammert sich am Bett fest.
    Eine Gruppe Menschen kommt ins Zimmer, eine Familie von fünf oder sechs Leuten. Sie gehen langsam und mit gesenkten Köpfen und bilden einen schweigenden Kreis um die Tote. Einige von ihnen weinen, aber nicht laut. Was, wenn ich dort läge?, denkt Evelyn. Ich mit den schönen Blumen über mir. Den trauernden Köpfen. Sie flüstert ihnen zu. Stoßweise. Heiser. Mein Sohn war auch hier. Er war hier. Wir stehen uns so nahe, mein Sohn und ich.
    Eine der Weißgekleideten kommt, rollt sie in ihrem Bett aus dem Zimmer. Der Beutel mit der schimmernden Flüssigkeit schwankt. Sie wird durch einen, dann einen zweiten Korridor geschoben. Wird nahe der Glastür zum Besuchszimmer abgestellt. Hier kann sie Leute kommen und gehen sehen. Angehörige mit Pralinenschachteln, Blumen und betrübten Blicken. Sie sieht sie mit ihren Alten an den Tischen sitzen. Sie trinken Kaffee und essen Kuchen. Unterhalten sich ein wenig. Sie wendet den Kopf ab und entdeckt den großen Bildschirm an der Wand. Sie kann keine Einzelheiten sehen, aber sie erkennt das blaue Anfangsbild der Nachrichten und das rhythmische Geräusch von Trommeln.
    Was für ein mächtiges Farbenspektakel heute, ein prasselndes Fegefeuer auf dem Bildschirm. Orange, gelb und rot. Rasende Geräusche, Krach und Geschrei. Und dröhnender Hubschrauberlärm. Was ist da los? Ist wieder Krieg ausgebrochen? Die Weißgekleideten laufen vorbei, lassen Satzfetzen fallen. Wald, ausbreiten, furchtbar trocken.
    Die Augen fallen ihr wieder zu. Sie ist im Wald, auf dem Pfad. Die Bäume sind dunkel. Das Moos ist kränklich grün. Weiter vorn gehen zwei Gestalten. Eine gebeugte Frau mit einem kleinen Kind. Sie läuft ihnen nach, will sie einholen, obwohl sie weiß, dass der Anblick, der sie erwartet, sie zu Tode erschrecken wird. Als sie vorbeigeht, blickt sie der Frau ins Gesicht. Und sie sieht, dass sie es selbst ist: Mit dem Gesicht eines Trollweibs, braunen Zähnen, krummer Nase und einem unheimlichen, starren Blick. Sie weicht zurück und sieht hinunter auf das Kind, das richtige Kind. Wie hübsch er ist. Er ist ihr eigener Sohn. Sie wacht auf, trocken im Mund, wischt fahrig mit den Armen über die weiße Bettdecke.
    «Evelyn Ødegaard?»
    Eine Schwester steht an ihrem Bett.
    «Sie haben Besuch.»
    Evelyn hebt den Kopf. Hinter dem Rollator, mit dem kleinen Hut auf dem Kopf, kommt Aslaug angewackelt. Sie lächelt, winkt ihr
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