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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
Autoren: Petra Tessendorf
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zog ein Foto heraus, auf dem sie mit zwei anderen Mädchen auf einer Wiese saß. »Selbst michhast du abgelichtet, obwohl wir zu der Zeit nicht gerade die besten Freundinnen waren.«
    Benno hatte mehrere Fotos aus dem Stapel gezogen.
    »Seht mal, hier«, triumphierte er. »Unser Floß. Was war das für ein tolles Projekt. Einen Sommer lang haben wir daran herumgebastelt.«
    Olga machte die Runde durch den Raum, zeigte hier und dort einige der Fotos.
    »Ja, stimmt. Und wisst ihr noch«, erinnerte Thorvald sich, »mein Gipsarm. Wir sind abends mit dem aufgeweichten Ding zu deinem Vater gelaufen und er hat mir einen neuen verpasst. Meine Mutter hat das gar nicht gemerkt.«
    »Aber Olgas Vater war sauer«, meinte Benno.
    »Stimmt«, pflichtete Thorvald bei. »Der war richtig wütend. Dabei war das gar nicht so schlimm.«
    »Vielleicht war er sauer, weil wir auf dem See waren«, vermutete Hanna.
    »Unsinn!«, rief Thorvald. »Wir haben nie erzählt, dass das mit dem Arm auf dem Floß passiert ist. Wir haben gesagt, wir waren am Bach.«
    »Der muss euch aber gesehen haben«, sagte Juliane nachdenklich. »Ich habe euch doch auch beobachtet, ihr wart so was von dilettantisch.«
    »Als du uns so erschreckt hast?«, fragte Thorvald und musste unwillkürlich nach Luft schnappen. Er gab ihr einen Klaps auf den Hinterkopf. »Weißt du eigentlich, dass ich damals richtig Todesangst hatte?«
    »Man muss im Leben immer wieder an seine Grenzen stoßen, Thorvald, sonst verblödet man.« Juliane zeigte keine Reue.
    »Immer wieder bin ich nachts aufgewacht und glaubte zu ersticken.«
    »Ich dachte, du wolltest Weltmeister im Luftanhalten werden, bei wie vielen Minuten warst du gleich?« Juliane sah ihn forsch an.
    »Bei drei!«
    »Ich wollte eben wissen, ob du auch in Stresssituationen funktionierst«, sagte Juliane und winkte mit ihrem leeren Sektglas zu Luis hinüber.
    »Ich habe mein Leben lang daran gearbeitet.«
    »Aber dann warst du schon froh, dass ich es war und nicht der böse Hecht, oder?« Juliane strich ihm über die Wange. »Gib’s doch zu.«
    Benno sah die beiden abwechselnd grinsend an.
    »›Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm. Da war’s um ihn geschehn. Halb zog sie ihn, halb sank er hin   …‹«
    »›Und ward nicht mehr gesehn‹«, ergänzte Thorvald und ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen. »Aber Goethes Seejungfrau war zärtlicher.«
    »Jeder bekommt, was er verdient«, lachte Juliane und schaute Thorvald und Benno an. »Aber es war total leichtsinnig. Ich dachte, ihr wolltet in geheimer Mission auf dem See unterwegs sein. Aber dass da jede Menge Leute herumliefen, habt ihr nicht gesehen?«
    Sie hoben die Schultern und schüttelten die Köpfe.
    »Auch nicht den Mann, der da im Moos sein Schläfchen gehalten hat? Direkt am See. Den habt ihr auch nicht gesehen?«
    Hinter ihnen gab es einen lauten Knall.
    »Ja, ja, ja   … meine Schuld!«, hörten sie Luis rufen, der beim Öffnen einer Sektflasche offenbar nicht mit so viel Druck gerechnet und die halbe Flasche verspritzt hatte. Eilends öffnete er eine neue.
    Olga hatte sich in der Zwischenzeit wieder zu ihnen gesellt.
    »Ich dachte es mir, ihr habt tatsächlich nichts mitbekommen«, rief Juliane.
    Olga runzelte die Stirn.
    »Als sie mich damals ertränken wollte«, fügte Thorvald erklärend hinzu.
    »Ach ja, der Hecht«, lachte Olga jetzt.
    »Und du willst dreißig Jahre später noch wissen, wer an diesem Tag alles am See war?«, sagte Luis leicht verächtlich, während er Sekt nachschenkte.
    »Und du weißt so genau, dass es dreißig Jahre her ist?«, rief Benno. »Du warst doch gar nicht dabei!«
     
    Olga und Juliane erhoben sich lachend und traten auf die große Veranda hinaus. Auch hier draußen war noch einiges los, aber es mischten sich auch andere Gäste unter die ehemaligen Schüler.
    »Wartet, ich komme mit!« Hanna war herausgekommen und schloss sich den beiden Frauen an, die gerade die Stufen von der Veranda hinuntergingen.
    Olga steuerte zielsicher auf die schwarze Wand des Waldes zu. Juliane und Hanna folgten dicht hinter ihr. Bald war das verschwenderische Licht, das aus dem Haus drang, von der Dunkelheit geschluckt und der Weg war kaum mehr zu sehen.
    Im Wald herrschte Stille. Innerhalb weniger Minuten waren die Frauen von einer ganz anderen Stimmung umgeben. Ab und zu erklang von weit her ein Lachen oder Rufen. Dann war es wieder ruhig.
    Und plötzlich lag der See vor ihnen. Eine dunkle, glatte Scheibe, bedrohlich und unschuldig
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