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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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aufgetragen, Ihre Einschulung durchzuführen. Sozusagen zur Vorbereitung, da ja schließlich die gesamte Verantwortung auf Ihren Schultern liegt und die Instruktionen, um zurechtzukommen, möglicherweise nicht ausreichen. Es ist nämlich schwierig, müssen Sie wissen, alle Situationen, die vorfallen können, in Betracht zu ziehen … Aber machen Sie sich keine Sorgen. Lernen Sie zuallererst einmal das hier!“
    Und Kowalenkow reichte Pawel eine dünne Broschüre. Es war der Artikel „Arbeitskontrolle“ von Lenin. Pawel schlug sie auf und entdeckte auf der zweiten Seite eine nicht zu entziffernde Unterschrift.
    „Hat er hier selbst unterschrieben?“, fragte er den Sekretär.
    „Nein, das war der Gebietssekretär Pawljuk. Für Sie zum Andenken.“
    „Danke“, sagte Pawel.
    „Eine Kleinigkeit. Wenn Sie wüssten, Genosse Dobrynin, wie ich Sie beneide …“ Der Sekretär Kowalenkow wiegte den Kopf und blickte gutmütig auf Pawel. „Ich wäre selbst gern Kontrolleur geworden, ich liebe ja die Verantwortung! Aber ich bin nicht mehr im richtigen Alter. Ja, und meine Kräfte lassen nach … Sie haben doch nichts dagegen, bei mir zu übernachten? Der Wagen holt Sie ja erst morgen Früh ab.“
    Pawel war einverstanden. Das Haus des Sekretärs war geräumig. Weil der Holzboden so sauber war, zog Pawel die Stiefel aus, wickelte die Fußlappen von den Füßen und ging barfuß in die Stube.
    „Schön ist es hier“, lobte er die Einrichtung.
    „Ja, ich liebe Ordnung in allem“, nickte der Hausherr. Der Sekretär ließ Pawel am Tisch Platz nehmen und weckte seine Frau, die, wie sich herausstellte, ein Schläfchen im anderen Zimmer gehalten hatte. Sie begrüßte den Gast und huschte in den Hof, um frisches Gemüse zu holen.
    „Sie ist eben erst von der Arbeit heimgekommen“, entschuldigte sich der Sekretär für sie. „Sie ist Melkerin, sie steht in aller Herrgottsfrüh auf; da ist sie natürlich müde.“
    Der Abend kam schnell. Es verstand sich von selbst, dass Pawel und der Sekretär tranken, aber nicht schweigsam und griesgrämig, so wie die Leute früher vor der Revolution getrunken hatten, sondern lebhaft und im Gespräch, damit es der menschlichen Weiterentwicklung zugute käme. Kowalenkows Frau zeichnete sich durch ein gutes Wesen und durch Gehorsam aus, aber als das Gespräch auf die Viehwirtschaft kam, brachte sie dennoch ihre Meinung ein, was Pawel sehr gefiel. Sie sagte, dass er als Kontrolleur bei der Überprüfung der Viehbetriebe unbedingt auf die Sauberkeit der Arbeitsplätze der Melkerinnen achten müsse und besonders auf die Reinheit ihrer Hände, da einige von ihnen ihre Hände erst nach der Arbeit waschen, die Euter der Kühe aber mit schmutzigen Händen anfassen würden; da Kühe jedoch ebenfalls Sauberkeit liebten, würden sie sich weigern, bei diesen Melkerinnen Milch zu geben.
    Da Pawel nicht zu trinken gewohnt war, brummte ihm am Morgen etwas der Schädel, aber der fürsorgliche Sekretär brachte ihm ein Glas mit starkem Salzwasser, und die Sinne seines Gastes wurden wieder klarer.
    Er zog sich an und blickte auf die Straße hinaus, wo die Sonne strahlte und die Natur noch immer in ihrer Kraft geblieben war, obwohl die kalte Zeit bevorstand. Gleich hinter dem Tor stand ein blitzsauberes, schwarzes Automobil. Der Fahrer, der eine braune Lederjacke trug, döste hinter dem Steuer.
    „Das ist für Sie!“, ertönte hinter seinem Rücken die Stimme Kowalenkows. „In aller Früh schon holt man Sie ab. Der arme Chauffeur konnte sich gar nicht ausschlafen.“
    „Na, dann soll er noch eine Weile schlafen …“, sagte Pawel, der das gastfreundliche Haus nicht so recht verlassen wollte; außerdem war er besorgt darüber, dass er seinen Heimatort und seine Familie auf unbestimmte Zeit nicht wiedersehen würde. Obgleich er die Notwendigkeit dessen, was geschah, einsah, gab es in seinem Inneren doch einen kleinen Mann, für den das Gefühl von Verantwortung fremd war, der seine Frau Manjascha mehr als die Heimat liebte, weswegen dieser von Pawel in Gedanken sehr oft, um nicht zu sagen beinahe täglich, gescholten wurde. Und auch jetzt beschimpfte Pawel dieses Männchen in ihm mit einem Wort, das er noch nie laut ausgesprochen hatte. Und das Männchen verstummte und verkroch sich beleidigt.
    Auf der Straße strahlte die Sonne. Das Wetter war grenzenlos optimistisch, ganz im Einklang mit der Zeit. Dobrynin ging hinaus in den Hof, direkt auf den Wagen zu.
    „Viel Glück!“, rief ihm der Sekretär
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