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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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seine Mutter, die in Pskow lebte.
    „Folge mir“, befahl der Mann in Weiß, und der Deserteur folgte gehorsam. Die beiden anderen Männer gingen links und rechts von ihm, und auf diese Weise begriff Sergunkow, dass er nicht an die Roten geraten war, sondern an andere, da die Eskortierenden bei der Roten Armee immer hinter dem Gefangenen gingen. Aber diese Entdeckung bereitete ihm keine Freude.
    „Warum hast du das getan, Bruder?“, fragte einer der Eskortierenden in Weiß flüsternd; es war derjenige, der rechts von ihm ging.
    Sergunkow zuckte die Achseln. Er konnte schließlich nicht sagen, dass er Heimweh hatte, dass er aus dem letzten Brief seiner Mutter von der Typhusepidemie wusste, die seine Stadt befallen hatte, und davon, dass Ljubka, die mit ihm in einer Straße aufgewachsen war, mit irgendeinem durchreisenden Genossenschafter davongegangen war und ihn ohne Hoffnung auf ein zukünftiges Familienleben zurückgelassen hatte. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Sergunkow stolperte, und wenn nicht der linke Eskortierende gewesen wäre, dann wäre er auf der Erde gelegen.
    „Vorsicht“, sagte dieser, während er ihn stützte, „hier sind Stufen.“
    Den ganzen Weg über hatte Sergunkow nur auf seine Füße geachtet, deshalb kam ihm gar nicht in den Sinn, dass sie bereits den Wald verlassen hatten und irgendwo angekommen waren. Aber in seiner Lage verspürte er keine Neugierde, den Kopf zu heben und sich umzublicken. In dieser demütigen Haltung erklomm der Deserteur die Stufen und bedauerte sein kurzes und sinnloses Leben. Während er hinaufstieg und in seinem Kopf immerzu dieselben leidvollen Gedanken kreisten, hörte er plötzlich ein angstvolles Hundegeheul, das mit seiner Seele im Einklang war. Das Heulen drang von irgendwo unten zu ihm herauf, und ohne den Kopf zu heben, blickte Sergunkow ein wenig zur Seite an den Stufen vorbei. Er sah einen Abgrund.
    Der Hund, der den Mond angeheult hatte und auch etwas Weißes, das sich am Himmel unter dem nächtlichen Himmelskörper bewegte, winselte nun leise und kehrte in seine Hundehütte zurück, wo er versehentlich mit der Pfote an den Napf mit der stinkenden Kartoffelbrühe stieß und ihn beinahe umgeworfen hätte.

Kapitel 5
    Sie fuhren lange und schwiegen. Nur einmal warf der Chauffeur einen respektvollen Blick auf seinen Fahrgast, sah aber gleich wieder auf die Straße, die zu dieser Zeit bereits flacher wurde – das betraf die Oberfläche ebenso wie auch die Aussicht.
    Pawel wollte mit dem Chauffeur ins Gespräch kommen, um etwas über die Stadt zu erfahren, in die sie fuhren, und ganz allgemein etwas über das Chauffeursleben, aber aus irgendeinem Grund konnte er sich nicht dazu durchringen, das Gespräch selbst zu beginnen. Der Chauffeur war ohnehin sehr damit beschäftigt, das Automobil zu steuern, und nach Pawels Ermessen durfte man ihn von dieser wichtigen Beschäftigung nicht ablenken.
    Inzwischen war auch schon die Stadt vor ihnen aufgetaucht, und es vergingen keine fünfzehn Minuten, bis der Fahrgast den Chauffeur vergessen hatte und vom Fenster des Autos aus die echten zwei- und dreigeschoßigen Häuser aus Stein eingehend betrachtete, die er zuvor nur auf Fotografien in Zeitungen oder auf Ansichtskarten gesehen hatte. Aber diese Häuser unterschieden sich so sehr von denen auf den Fotografien, dass Pawel den Atem anhielt, während er sie betrachtete. Besonders überraschten ihn die Fenster, die alle gleich groß waren, jedoch unterschiedliche Gardinen hatten. Vor jedem dieser Häuser war ein Beet angelegt, und in der Mitte von einigen davon wuchsen die Porträts herausragender Persönlichkeiten der Epoche in Blumenform. Von all dem, was er sah, schwirrte Pawel nahezu der Kopf, und er konnte ihn nur noch völlig verblüfft schütteln, um auf diese Weise seine Begeisterung auszudrücken.
    „Ja“, nickte der Chauffeur zustimmend, dem gerade solche Passagiere, die von seinem Automobil aus zum ersten Mal die Errungenschaften und die Schönheit des städtischen Lebens sahen, eine besondere Freude bereiteten. „Dabei haben Sie den Hauptplatz noch gar nicht gesehen ...“
    Dazu muss gesagt werden, dass sie den Hauptplatz dann auch nicht sahen, da sich, als sie zufahren wollten, herausstellte, dass die Straße dorthin aufgegraben war – weil ein Vakuum-Müllschacht angelegt wurde, durch den in Kürze der gesamte Müll der Stadt zur weit entfernten Peripherie gebracht werden sollte. Darüber gab ihnen ein Mann in Arbeitsuniform Auskunft, der an
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