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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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köstlichen braunen Kringeln losreißen konnte, die einfach auf der Zunge zergingen. Es kam ihm vor, als ob ihm das neue, verantwortungsvolle Leben, das vor zwei Tagen begonnen hatte, noch viele solcher Kringel in Aussicht stellen würde. Außerdem glaubte Pawel, dass, je größer die Verantwortung eines Menschen war, das Vaterland desto besser für ihn und seine Gesundheit sorgte, und das schien ihm gerechtfertigt.
    „Also dann“, wandte sich Genosse Pawljuk plötzlich an Pawel, nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte. „Ihr Zug fährt in einer Stunde. Dass Sie sich nur nicht verspäten …“
    „Zug?“, wiederholte der erstaunte Pawel fragend, der nichts von einem Zug wusste.
    „Ach, entschuldigen Sie, ich habe es Ihnen gar nicht gesagt!“, besann sich Genosse Pawljuk. „Ihr Zug in die Hauptstadt … Man hat Ihnen doch gesagt, dass man Sie dort erwartet?“ Pawel nickte.
    „Also dann …“, Pawljuk breitete die Arme aus. „Schade, dass Sie nur so kurz bei uns in Manajenkowsk waren, aber wer weiß, vielleicht führt Sie das Schicksal noch einmal her … Wir würden uns freuen.“
    Hierauf bestellte Genosse Pawljuk per Telefon einen Wagen und begleitete Dobrynin höchstpersönlich die Marmorstiege hinunter.
    Auto und Chauffeur waren dieselben. Dieses Mal begrüßten Pawel und der Chauffeur einander bereits wie alte Bekannte.
    Wieder fuhren sie schweigend dahin. Aber dieses Mal hatte Pawel selbst keine Lust zu reden. Immer noch war er damit beschäftigt, die Stadt zu betrachten, und staunte über ihr Aussehen.
    „Gleich fahren wir an unserem Theater vorbei!“, sagte der Chauffeur voller Stolz.
    Pawel hielt sich bereit.
    Aber das Theater sahen sie auch nicht, da die Straße vor ihnen wieder aufgrund der Arbeiten an dem Vakuum-Müllschacht aufgegraben war. Der Chauffeur stieß ein weiteres Mal einen kurzen Fluch aus und brachte Pawel auf Umwegen zum Bahnhof, wo er ihn in den Zug setzte, der zur Abfahrt bereitstand.
    Der Zug gefiel Pawel: Er bestand aus einer Lokomotive und nur zwei Passagierwaggons. Unmittelbar vor der Abfahrt wurde allerdings ein weiterer Waggon angehängt, aber er konnte ihn nicht genau sehen.
    Die Räder ratterten gemütlich, und Pawel saß in seinem Abteil und sah aus dem Fenster in den zu Ende gehenden Tag.
    Morgen würde ein neuer Tag beginnen, und die Tatsache, dass Pawel diesen neuen Tag unterwegs beginnen würde, schien bemerkenswert und bedeutungsvoll.
    Eine junge Frau mit Eisenbahnkappe kam ins Abteil und brachte Tee.
    „Hätten Sie denn vielleicht auch Weißbrotkringel?“, fragte Pawel sie.
    „Wo denken Sie hin, Genosse!“, wunderte sich die Frau. „Woher sollen wir hier Kringel nehmen?“
    Pawel nickte, bedankte sich für den Tee, trank einen Schluck und fand heraus, dass der Tee nicht süß war, wollte diese Frau aber nicht um Zucker bitten.
    Nach einer halben Stunde kam die Frau mit einem Stapel Zeitungen wieder.
    „Möchten Sie lesen?“, fragte sie.
    „Ja, bitte“, antwortete Pawel.
    „Sind drei genug?“, fragte die Frau.
    „Ja“, sagte Pawel.
    Die Schaffnerin zählte drei Zeitungen ab, legte sie auf das Tischchen und ging fort.
    Im Schein des matten Lämpchens, das aus unbekannter Quelle Strom bezog, las Pawel aufmerksam die Zeitungen, die man ihm gebracht hatte, und erfuhr aus ihnen eine derartige Fülle von allem Möglichen, dass sich seine Vorstellung vom Leben und von seinem Vaterland mit jedem gelesenen Wort erweiterte. In ihm entstand das Gefühl, als ob er mit dem Zug mitten durch eine riesige Gigantenstadt fahren würde, die sich erst im Aufbau befand und in der zwar noch keine Menschen lebten, aber wo bereits aus Leibeskräften gearbeitet wurde und alle möglichen Weltrekorde, in den Bereichen der Bohrarbeiten, der Kohleförderung, im Brotbacken und im Schmelzen verschiedenster Metalle, gebrochen wurden.
    Vom Lesen ein wenig ermüdet beschloss er, in einer der Zeitungen die Gesichter der neuen Ordensträger zu betrachten, die im Kreml ausgezeichnet worden waren, aber kaum hielt er das Gruppenfoto vor seine Augen, als das Lämpchen im Abteil erlosch. Draußen war es schon dunkel, und so legte Pawel die Zeitungen auf das Tischchen und machte es sich auf der unteren Liege bequem. Nachdem er sich mit der warmen Wattedecke zugedeckt hatte, schlief er ein.

Kapitel 6
    Der Pfad führte den Engel immer weiter bis zu einem an den Wald grenzenden kleinen Dorf, wo er in einen Fahrweg mündete. Dieser Weg war die einzige Straße im Dorf, nach
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