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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Autoren: Andrej Kurkow
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der alle Hütten, von denen es nicht mehr als zwei Dutzend gab, ihre Fenster ausgerichtet hatten. Hinter dem Dorf verlief der Weg weiter an Wiesen entlang und verlor sich irgendwo dazwischen.
    „Hier ist also die erste Siedlung!“, dachte der Engel.
    Der Abend war nah. Im Hof der nächstgelegenen Hütte hängte eine Frau Wäsche zum Trocknen auf. Der Engel trat an den Zaun heran und grüßte, sie aber lief, nachdem sie ihn gesehen hatte, ohne auf seinen Gruß zu antworten ins Haus.
    Der Engel wollte gerade kehrtmachen, um mit der Bitte um Essen und ein Nachtquartier zu einer anderen Hütte zu gehen, als ihn die Stimme eines Mannes anrief.
    „Komm doch her!“ Der Mann war klein und trug eine Hose aus grobem Leinenstoff und ein graues Leinenhemd, das mit einer Schnur gegürtet war. „Bist du ein Flüchtling?“
    Der Engel trat näher.
    „Ich würde gerne bei Ihnen übernachten …“, sagte er und sah den Hausherrn freundlich an.
    „Ein Flüchtling …“, sagte der Mann nachdenklich und betrachtete die Rotarmisten-Uniform des Engels. „Na komm rein!“
    Der Boden im Flur war erdig vom Schmutz, der mit den Stiefeln hereingetragen worden war. Der Herr des Hauses zog selbst die Schuhe aus und bat auch den Engel, die Stiefel auszuziehen, als er plötzlich bemerkte, dass der Gast barfuß gekommen war. Er wunderte sich, wühlte in einer Truhe, die dort stand, holte schmale und ein wenig kurze Stiefel hervor und reichte sie dem Engel:
    „Zieh die an!“
    Der Engel zog sie gehorsam an und stampfte damit auf dem Boden herum.
    „Und, wie sind sie?“, fragte der Hausherr und schaute auf die Füße des Gastes.
    „Gut“, antwortete der Engel.
    Die Stiefel waren etwas zu groß, aber die heimliche Freude des Engels, auf solch eine Güte zu stoßen, war noch größer.
    Sie gingen in die Stube, wo die Hausfrau schon am russischen Ofen geschäftig war und mit dem Schürhaken einen großen Topf näher an das Feuer rückte.
    „Gleich ist alles fertig“, sagte sie.
    Der Gast ließ sich auf der Bank nieder und blickte um sich, um das Zimmer zu mustern. Die Behausung war sauber und ordentlich; ein breites Bett stand ums Eck hinter dem russischen Herd und war mit einem mit roten Hähnen bestickten Überwurf bedeckt. Auf dem Tisch lag schon Brot.
    Der Gastgeber warf einen Blick ins Zimmer, lächelte seinem Gast zu und verschwand wieder im Flur. Er ging offenbar auf den Hof hinaus, denn die Haustür fiel ins Schloss.
    Während sich der Engel in der Stube umsah, ging eine kleine Lampe an, die von der Decke hing, und verbreitete mattes Licht. Gleich darauf war wieder die Tür im Flur zu hören und der Hausherr erschien, zufrieden, jedoch mit ernster Miene. Er warf einen Blick auf die Lampe, wandte sich dann an seinen Gast und erklärte, dass ein Vogel das Stromkabel abgerissen habe und er deshalb einen Knoten habe knüpfen müssen, damit wieder elektrischer Strom in die Hütte kam.
    Der Hausherr erfreute sich noch eine Weile am Licht der Lampe und setzte sich dann am anderen Ende des Tisches ebenfalls auf die Holzbank, um auf das Essen zu warten.
    Die gedünsteten Kartoffeln mit Speck waren nicht im Geringsten mit dem Essen im Paradies zu vergleichen, aber der Engel aß mit Behagen. Am meisten freute er sich jedoch über das weiche und sättigende Brot. Sein Gastgeber stürzte sich ebenfalls auf das Essen, als habe er buchstäblich das halbe Land mit dem Pflug beackert. Er kaute gierig und hatte es irgendwie sehr eilig.
    „Noch mehr davon?“, fragte die Hausfrau.
    „Nein, danke …“, sagte der Engel.
    Der Hausherr schüttelte nur verneinend den Kopf.
    „Dann bringe ich den Rest nach unten“, sagte die Frau und nahm den bauchigen Topf vom Tisch.
    Sie ging mit ihm in die zur Flurtür nächstgelegene Stubenecke und hob mit einer Hand eine Holzplatte hoch – den Eingang zum Keller.
    Der Engel aß zu Ende und spürte, dass es ihm guttun würde, sich niederzulegen. Er warf einen Blick auf den Gastgeber, der aber immer noch kaute, deshalb sah der Gast in die andere Richtung und sein Blick fiel auf die Hausfrau, die soeben ohne den Topf aus dem Keller zurückkam.
    Inzwischen hatte die Dunkelheit alles Leben vor dem Fenster eingehüllt, und der Gastgeber, der mit dem Gesicht zum Fenster saß, kaute an der letzten Scheibe Brot, gähnte ausgiebig und machte sofort ein Kreuzzeichen vor seinem Mund.
    „Was nun, werter Gast“, sagte er mit belegter, schläfriger Stimme. „Du möchtest sicherlich schlafen?“
    Der Engel nickte. Er
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