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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn
Autoren: Olaf Kühl
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Und jetzt passen Sie auf. Im März 1994 präsentiert Mercedes-Benz auf dem Genfer Salon ein geliftetes Modell, den S  500 . Alles Kleinigkeiten, überarbeitete Heckpartie, vom Eindruck her breiter und niedriger, auch die Kühlerschutzgitter und Scheinwerfer etwas wuchtiger. Stoßfänger und Flankenschutzflächen durch eine umlaufende Sicke horizontal gegliedert. Wissen Sie, was eine Sicke ist?»
    «Nein.»
    «Sehen Sie. Kleinigkeit, der Wagen hatte sich nur äußerlich ein bisschen verändert. Und trotzdem wollte der Mann jetzt dieses neue Modell haben. Bekam es aber nicht gleich, er hätte noch ein halbes Jahr darauf warten müssen. Deshalb hat er seinen Fahrer mit dem Wagen an die polnische Grenze geschickt, und wenn der sich nicht verplappert hätte, hätten wir nie Wind von der Sache bekommen. An einer Autobahnraststätte, mit einer Zufallsbekanntschaft, einem Fernfahrer aus seiner Heimat, dem Sauerländischen. Jetzt streitet er alles ab und behauptet, er habe auf eigene Faust einen Ausflug nach Osten gemacht. Wer’s glaubt. Sein Chef wollte einfach, dass der Wagen schnell über die Grenze verschwindet.»
    «Ist der Mann wichtig für mich?»
    «Nein. Die Sache ist nur unangenehm für uns. Die Firma ist Großkunde. Hat Hunderte von Fahrzeugen versichert. Strafanzeige kommt nicht in Frage. Also wollen wir das Auto wiederhaben.»
    Konrad nickte.
    «Allerdings ist die Sache auch am anderen Ende undurchsichtig. Oder, wenn Sie wollen, verrückt.»
    «Nämlich?»
    «Es gibt Hinweise, dass das Fahrzeug am helllichten Tag durch die Straßen von Kiew kutschiert. Mit so einem Wagen kann man sich ja auch gar nicht verstecken. Das heißt, wenn er bis Taschkent gekommen wäre, hätten wir vielleicht nie davon erfahren. Aber Kiew liegt noch in unserem alten Einflussbereich. Dort gibt es Augenzeugen, die den Wagen auf dem Kreschtschatik gesehen haben wollen. Unser Anwalt dort konnte uns sogar den Namen des Fahrzeughalters mitteilen.»
    «Wer ist es?»
    «Sie werden lachen. Der Mann soll fast neunzig sein. Wir dachten erst, es wäre eine gefakte Biographie. In der ehemaligen Sowjetunion werden die Männer höchstens sechzig. Aber es scheint zu stimmen, den gibt es. Wahrscheinlich nur Strohmann. Wer es sich gönnt, mit so einer Luxuslimousine durch die postsozialistische Metropole zu kutschieren, muss gute Kontakte haben, zur Polizei, zur Politik. Das erschwert uns die Arbeit. Deshalb will ich, dass Sie mal hinfahren und sich die Sache aus der Nähe anschauen.»
    «Ein Sammler vielleicht?»
    «Alles möglich. Melden Sie sich dort bei Jurko Mazepa, unserem Mann vor Ort. Er hilft Ihnen bei der Suche nach dem Wagen, Sie regeln alle Formalitäten und bringen ihn zurück.»
    Muschter sah Konrad mit ungewohnter Zuneigung an. «Sie sind sich bewusst, dass dieser Auftrag nicht ungefährlich ist, ja?», fragte er. «Kiew ist ein anderes Pflaster als Polen. Passen Sie auf.»
     
    «Träumst du, Mann?» Jacek stieß ihn in die Seite.
    «Was?»
    «Wonach du suchst, hab ich gefragt.»
    «Ist dir in letzter Zeit ein 500   SE untergekommen?», fragte Konrad.
    «Klar.» Jacek grinste schief. «Meine Spezialität, weißt du doch. Stand noch ’ne Weile hier auf dem Hof rum, weil ich keinen Abnehmer für gefunden habe. Hab ihn aufpoliert. Die Nummer nachgeschmirgelt.»
    Konrad nickte mäßig amüsiert.
    «Zeig mal Kennzeichen und Nummer», sagte Jacek.
    Konrad gab ihm den Zettel.
    «Falls ich was erfahre, sage ich dir Bescheid. Aber mach dir keine Hoffnung. Wie bist du zu erreichen?»
    «Hotel Dnipro in Kiew», sagte Konrad.
    «Müde, wa?» Jacek rempelte ihn an. «Du glaubst doch nicht, dass so ein Auto hier unbemerkt über die Grenze kommt.»
    «Ist es aber. Und jetzt kutschiert es durch Kiew. Das ist sicher.»
    «Komm, ich mach dir einen Kaffee und guck deinen Wagen mal durch. Nicht dass du unterwegs liegenbleibst. Gute Tarnung für einen Ermittler übrigens. Mit der Karre willst du in die Ukraine kommen?»
    «Drück mir die Daumen», sagte Konrad.
     
    Fliegen wäre kein Problem gewesen. Das hatte er auch vor der Wende getan, als man sich noch über den Übergang Friedrichstraße zum Flughafen Schönefeld quälen musste. Aber am Anfang eines solchen Falles ist es besser, erst einmal Bodenhaftung zu behalten. Den Fluchtweg des gestohlenen Autos nachzufahren. Die Witterung der Limousine aufzunehmen. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nicht an, und der Spesenvorschuss der Versicherung reicht eine Weile. Womöglich redete er sich das mit
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