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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher
Autoren: Ferdinand Decker
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zuckende Janafotze spritzt.
    Ich wichse noch zweimal, dann wasche ich mir die Hände. Mit einem Stück Klopapier in der Hand suche ich den Boden ab, ob etwas danebengegangen ist. Ich fühle mich besser, entspannter. Als ich mich selbst im Spiegel sehe, ungekämmt und verschlafen, muss ich lächeln. Meine Frau liegt im Sterben, beinah jedenfalls, und ich hole mir auf dem Krankenhausklo einen nach dem andern runter. Und ich bin bestimmt nicht der Einzige. Die Hälfte aller Menschen sind Männer. Wenn nur zehn Prozent sich schon einmal auf einer Krankenhaustoilette befriedigt haben, dann sind hier schon Hunderte vor mir gewesen. Hunderte Männer mit einem Stück Toilettenpapier in der Hand, Hunderte Männer, die ihr wund geriebenes bestes Stück wieder in eine ungewaschene Unterhose zurückstopfen, Hunderte Männer, mit denen ich mich ein klein wenig solidarisch fühlen kann.
    »Wo warst du denn?«, fragt Jana, als ich zurück an ihr Bett schleiche. »Plötzlich warst du weg.«
    »Mein Magen«, murmele ich. »Ich habe wohl was Falsches gegessen.«
    »Ach so«, sagt sie und schließt wieder die Augen.

 
     
     
     
     
    B itte, Frau Hiller, Sie müssen essen«, sagt die Schwester.
    »Wenigstens eine Scheibe Brot oder einen Joghurt.«
    »Ich will nichts«, sagt Jana. »Ich hab keinen Hunger. Willst du das nicht essen, Henri?«
    Das will ich schon, seit gestern Mittag habe ich nichts gegessen. Zögernd schaue ich zwischen der Schwester und dem Tablett hin und her.
    »Lassen Sie es stehen, bitte«, befiehlt Jana. Die Schwester schneidet eine Grimasse und geht. Mit dem Tablett.
    »Hallo!«, ruft Jana.
    Die Schwester bleibt stocksteif im Türrahmen stehen. Unwillig dreht sie sich um.
    »Bitte, Frau Schuhmann«, sagt Jana. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will Sie nicht herumkommandieren, und ich bin Ihnen dankbar für Ihre Mühe. Lassen Sie das Tablett stehen, ich werde später noch ein wenig essen.«
    Schwester Schuhmann überlässt uns das Tablett.
    »Iss«, sagt Jana. »Du siehst hungrig aus.«
    »Willst du gar nichts?«
    »Nein.«
    Ich habe Hunger, ich will essen. Aber ich darf auch nicht vergessen, Mitgefühl zu zeigen.
    »Du musst auch etwas essen«, sage ich.
    »Nein.«
    »Wenn du nicht isst, esse ich auch nicht«, sage ich, als ob ich mit einem Kind rede.
    »Aber du hast Hunger«, erklärt Jana, »ich nicht.«
    »Du kannst dich hier nicht einfach totfasten«, sage ich und erschrecke vor dem Wort. »Iss wenigstens den Joghurt.«
    »Henri hat recht«, sagt Janas Mutter, die das Zimmer betritt. »Du musst etwas essen.«
    Jana lächelt. Sie genießt es, gebeten zu werden. Janas
    Mutter und ich wiederum, wir sollten es genießen, sie zu bitten. Das ist unsere Rolle – besorgte Angehörige am Krankenbett. Wir zeigen unsere Liebe, indem wir ihr Befehle erteilen, indem wir sie zwingen, ihrem Körper Nahrung zuzuführen. Endlich gibt sie sich geschlagen.
    »Ich esse den Joghurt«, sagt sie, »und ihr das Brot.«
    Janas Mutter schiebt mir das Ei zu. Auch das wirkt wie eine einstudierte Geste; die Mutter, die ihren Kindern das Beste zuschiebt. So gehört sich das – das Unglück soll mich und Janas Mutter zusammenschmieden.
    »Ich hol uns einen Kaffee«, erkläre ich. Auf dem Krankenhausflur herrscht viel Betrieb. Nicht nur Personal und Patienten, auch viele Besucher. Ich habe noch nie so viele Besucher auf einer Station gesehen. Ist das ein gutes Zeichen oder ein schlechtes? Ich weiß nicht, wie ich das finden soll. Die Eintracht zwischen uns dreien, das Familiengefühl gestern, hat mir gut gefallen. Heute kommt es mir gespielt und angestrengt vor. Ich denke an Jana. Ich denke an Theodora. Ich denke schnell an etwas anderes. Es herrscht zu viel Betrieb, um die Toilette aufzusuchen.
    Der Vormittag schleicht dahin. Ein Arzt macht Visite. Eine Schulfreundin von Jana kommt mit ihrem Kind, ein verwöhntes, quengelndes Ding mit einer bescheuerten Inkamütze. Ich stehe am Fenster und sehe hinaus. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass Jana ihren Ehering vorzeigt; in dem diese Gebärde untermalenden Getuschel glaube ich meinen Namen zu hören. Ein oder zwei bewundernde Blicke schießen mir in den Rücken. Ich drehe mich nicht um und sehe auf den Parkplatz hinab wie auf mein höchst eigenes Königreich. Ja, ich kenne das Spiel, ich kann es spielen, aber ich spiele ohne jede Leidenschaft. Es lässt mich kalt. Immer wieder plagen mich plötzliche Erektionen. Immer wieder muss ich an Theodora denken, an Emil und Jana beim
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