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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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an seinem D-Day.
    Bars nach Mitternacht waren die sichersten Orte, um Karrieren zu ruinieren. Sah man an den Investment-Bankern. Die Finanzkrise begann, als die Bengel sich in Manhattan, London und Frankfurt schon bei Tageslicht den Dom Pérignon literweise hinter die Binde gossen. Ruhm machte leichtsinnig, und Alkohol machte noch leichtsinniger.
    Attila beschloss, sofort in die Offensive zu gehen. Er winkte knapp zu Bülow hinüber; der verstand, erhob sich und kam an die Bar. Das musste man den Blaublütern lassen: Sie kapierten ziemlich schnell, wer Herr war und wer Hund. »Na, so spät noch auf Akquise«, sagte Attila mit gespielter Strenge.
    »Ausnahmsweise«, flunkerte Bülow, »ein alter Freund ist zu Besuch.« Er klimperte mit seinem Drink, der aussah wie Goldkrone auf Eis.
    »Ich habe heute Hochzeitstag«, log Attila zurück, »und habe meine Frau den ganzen Tag noch nicht gesehen.« »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Bülow, »dann will ich mal nicht stören.«
    »Schönen Abend noch«, entgegnete Attila, was nichts anderes bedeutete als »Zieh Leine.«
    Bülow verstand. Er ging zurück an den kleinen Tisch, an dem noch ein anderer frotteegesichtiger Salem-Absolvent kauerte, in Gesellschaft von zwei deutlich zu mageren Mädchen. Na, viel Freude mit den Klappergestellen, dachte Attila. Solche Frauen gaben sich bestenfalls so lange Mühe,
bis sie auch »von Bülow« hießen. So weit würde es aber nie kommen. Da war bestimmt Mutti Bülow davor. Mit der Hoffnung allerdings ließ sich jahrelang immer frische Begleitung organisieren.
    Attila winkte dem Neger hinter der Bar. Natürlich wusste Attila, dass er einen Neger niemals Neger nennen durfte. Er wusste allerdings nicht genau, was man stattdessen aktuell sagen musste. »Afro-American« hieß es in den USA, aber dieser Junge war vielleicht im Wedding geboren und hieß Dieter. Sollte er »Farbiger« sagen? Oder »Schwarzer«? Alles Humbug. Jeder Versuch, das Ungewöhnliche zu benennen, machte es noch ungewöhnlicher. Warum nicht einfach »Mann« und fertig? Wobei das Wort in gewissen Frauenkreisen auch schon Diskriminierung genug bedeutete. Attila sagte höflich: »Guten Abend, wie geht’s?« zu dem Barkeeper und zwang sich dazu, in keinerlei rassistischer Kategorie zu denken. Der schwarze Mann allerdings war nicht besonders gesprächig. Wahrscheinlich ging ihm die permanente Anbiederei der politisch überkorrekten Gäste seit Jahren tierisch auf den Senkel.
    Jahrhunderte mussten seine Vorfahren in Ketten eingeschweißt Baumwolle pflücken, nun folgte die nicht minder brutale Bewältigung durch grundloses Schulterklopfen. Gern hätte Attila mit dem Barmann darüber geredet. Aber das Risiko war zu groß, dass da was in den falschen Hals geriet.
    Es gab Themen, die man tunlichst überhaupt nicht ansprach, schon gar nicht in guter Absicht. Der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit gehörte zu den sichersten Karrierekillern. Nur Nazi-Sprüche waren schlimmer, oder Frauen-Diskriminierung, besser noch Mütter-Bashing. Wobei die Regel galt: Wenn es etwas misszuverstehen gab, dann gaben sich Kollegen, Vorgesetzte und vor allem die Öffentlichkeit
auch allergrößte Mühe, diese Missverständnisse auszuweiden.
    Andere Randgruppen sahen natürlich, wie praktisch es sich lebte hinter der Schutzwand der politischen Korrektheit, und so versuchte eben jeder, auch ein Opfer zu sein. Neulich hatte er einen Dackel gesehen, der einen Stern im Fell trug, weil diese Gesellschaft angeblich »hundefeindlich« sei. So stand es auf dem Pappschild, das Herrchen sich vor den Bauch gebunden hatte.
    Es war zum Verzweifeln. Deutschland brauchte Führung, aber selbst das Wort »führen« war kontaminiert. Wie also sollte man führen, wenn man zu jedem Arsch nett zu sein hatte? Attila wünschte sich mehr Asiaten, für Wesley und überhaupt. Asiaten waren fleißig, hungrig, die fielen nicht durch Diskriminierungs-Klimbim auf.
    Attila hasste sich für die bekloppten Gedanken, denen er schon wieder nachgehangen hatte. Ab einem bestimmten Punkt denkst du nur noch in Thesen, hatte einer seiner Mentoren mal gesagt. Wenn es so weit ist, sollte man dringend etwas maximal Vulgäres denken, nur um sich wieder zurück auf den Boden zu bewegen. Ausgerechnet heute Nacht sollte er nicht das Land retten und die Weltwirtschaft, sondern vor allem sich selbst: Wenn er versagte, dann würde er über Jahre darunter leiden, persönlich und beruflich.
    Attila nippte an seinem »Prince of Wales«, den der stark
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