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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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nicht beendet. Immer wieder tauchten die Bein-Enthaarer auf, unter ständig neuen Namen.
    Dieses Muster, das sich in Clevelands sehr persönlichem Kampf gegen die Frauen-Verstrahler zeigte, sollte sich an etlichen Orten wiederholen. Wo Druck aufkam, verschwanden die Salons – nur um unter neuen Namen, mit angeblich modifizierten Methoden, wieder aufzutauchen. Noch 1950 schaltete das obskure Laboratorium Virogen Anzeigen für seine Strahlen-Enthaarung in US-Zeitungen. Es dauerte lange, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass man sich mit dieser Form der Kosmetik keinen Gefallen tat – auch deshalb, weil der ganze Schaden, den das Wirken der Röntgen-Enthaarer verursacht hatte, erst in den 1950er-Jahren klar wurde.
    Anfangs war man davon ausgegangen, dass in etwa einem Prozent der Fälle Krebserkrankungen zu erwarten seien. Jetzt wurden Studien publiziert, die nachwiesen, dass bei manchen Instituten die Krebsrate ehemaliger Kundinnen erheblich höher lag. Weil die Art der Hautschädigungen und Krebserkrankungen so sehr den Strahlenopfern von Japan glich, bekam das Syndrom einen makabren Namen: »North American Hiroshima Babes«.
    Mehrere Studien wiesen in den folgenden Jahrzehnten nach, dass der so taktlose Name in gewisser Hinsicht passend gewählt war: Die Quote der Strahlenschädigungen, Krebserkrankungen und Todesfälle bewegte sich auf ähnlichem Niveau wie bei den japanischen Atombomben-Überlebenden. Doch das Wissen darüber, wie schädlich die Technik tatsächlich war, hatte sich viel zu langsam verbreitet. Bis in die 1950er Jahre wurden Röntgenstrahlen eingesetzt, um beispielsweise die Köpfe von Kindern in Flüchtlingslagern von Läusen zu befreien. Dokumentiert ist das beispielsweise für Einwanderer in Israel.
    In den 1970er Jahren schätzten die amerikanischen Gesundheitsbehörden, dass über 70 Prozent aller durch Strahlenschäden verursachten Hautkrebserkrankungen in den USA auf die Enthaarungsstudios zurückgingen, die von 1920 bis etwa 1950 aktiv waren. Ab etwa 1940 geschah das in den meisten US-Bundesstaaten illegal und ohne Genehmigung, denn am Ende siegte in gewisser Hinsicht das Verbot.
    Im September 1940 veröffentlichte die amerikanische Standardisierungsbehörde ein Regelwerk, das tägliche Strahlungshöchstmengen für Patienten wie auch Röntgen-Operatoren festsetzte, sowie Schutz-und Abschirmungsmaßnahmen verbindlich vorschrieb. In aller Regel kam das einem Betriebsverbot für die Enthaarungsstudios gleich. Sie sollten sich noch einige Jahre als »Hinterhof-Business« halten, bevor sie ab Ende der 1940er weltweit verschwanden. Röntgen-Enthaarung wird heute nur noch in Ausnahmefällen, sorgfältig dosiert und überwacht im medizinischen Kontext, eingesetzt. Und in Deutschland? Das Brockhaus Gesundheitslexikon drückt es folgendermaßen aus: »Die Enthaarung mit Röntgenstrahlen ist veraltet, sie wird wegen ihrer Nebenwirkungen nicht mehr angewendet.«
    Für Albert C. Geyser, der mit seinem Tricho-System zeitweilig reich geworden war, ging die Geschichte nicht gut aus, obwohl er nie formal bestraft oder verurteilt wurde. Auch Geyser selbst zahlte am Ende den Preis, den so viele Röntgen-Operateure und eben auch -Pfuscher der frühen Jahre zahlten: Der Krebs zerfraß wenige Jahre nach Gründung seines Tricho-Unternehmens erst seine linke Hand, die bis zum Armgelenk amputiert werden musste. Später verlor er auch die rechte Hand, nachdem sich dort ebenfalls Tumore auszubreiten begannen. Ein Schicksal, das er mit Zigtausenden teilte, die er mit seinem Tricho-System geschädigt hatte. Dazu kamen Hunderttausende mit irreparablen, oft schmerzhaften Hautschädigungen – und US-Schätzungen zufolge möglicherweise bis zu 20.000 Toten allein in den USA.
    HÜHNCHEN SIND VERSTRAHLTE HÄHNCHEN
    Folgender Bericht der Nachrichtenagentur AP erschien am 1. Mai 1928 in zahlreichen US-Regionalzeitungen. Wortwahl und Bearbeitung zeigen, dass der Schreiber weder den Inhalt der wiedergegebenen Informationen noch deren Implikationen verstand. Was er aber sehr gut transportiert ist der generell vollig unkritische Optimismus, mit dem die Offentlichkeit den meisten Errungenschaften der Wissenschaft damals begegnete.
    X-STRAHLEN VERÄNDERN DAS GESCHLECHT
    N ew York, 1. Mai – Die Behandlung befruchteter Eier mit Röntgenstrahlen, sodass nur weibliche Küken schlüpften, war nur eines der vielen Experimente, die Dr. William H. Dieffenbach vom Flower Hospital gestern erstmals der Associated Press vorstellte. Die
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