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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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    Trial and Error eben – und in diesem Fall sollte der Irrtum eine Weile anhalten. Als Ursache und Wirkung vermeintlich klar waren, arbeitete man daran, erwünschte und unerwünschte Nebeneffekte des Röntgens auszubalancieren. Und die Vernichtung unerwünschter Haare war natürlich etwas, das ganz besondere Aufmerksamkeit erregte – und Geschäftsleute auf den Plan rufen musste. Es gibt Hinweise darauf, dass Röntgengeräte nicht nur in ärztlichen Praxen, sondern auch in amerikanischen Schönheitssalons bereits 1910, möglicherweise auch schon vorher zur Enthaarung von Frauenbeinen und zur Vernichtung von Damenbärten eingesetzt wurden. Zum richtig großen Geschäft sollte dieser Wahnsinn aber erst ab etwa 1925 werden.
    Der Unterschied zwischen obskuren Kuren irgendwelcher Kurpfuscher und weithin beachteten populären Anwendungen hat oft nur mit Markennamen, mit Normierung und Corporate Identity zu tun, mit Imagebildung also. Genau wie es ein Unterschied ist, ob man Frikadellen in Pappbrötchen packt und an der Straßenecke verkauft, oder ob man normierte Hamburger im Rahmen einer international aufgestellten Franchise-Kette vertreibt – imagetechnisch zumindest.
    Zur zentralen Figur bei der Erhebung der Röntgen-Haarentfernung zum Massenphänomen sollte in den USA der seit Ende des 19. Jahrhunderts vor allem im Bereich der – höflich ausgedrückt – frei praktizierten Elektrotherapie erfolgreiche Albert C. Geyser werden.
    Geyser, ein Einwanderer aus Deutschland, führte einen Doktortitel, der später von den amerikanischen Ärzteverbänden angezweifelt wurde, aber rechtmäßig erworben war. Ab 1908 begann er Patienten mit Hautkrankheiten mit Röntgenstrahlung zu behandeln, nach eigener Aussage waren es Tausende von ihnen. 1915 veröffentlichte er einen Artikel in einer Fachzeitschrift für Hautkrankheiten, in dem er die Vorzüge der Röntgentechnik bei der Behandlung solcher Leiden pries. Während Geyser der Ältere forschte, erprobte sein Sohn Frank die Hauttherapie per Röntgenstrahlung in eigener Praxis.
    Es war Frank Roebling Geyser, der die Vakuum-Röntgenröhre entwickelte, die später in den Enthaarungsapparaten zum Einsatz kommen sollte. Frank Geyser beantragte die entsprechenden Patente in den USA, in Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland.
    Es klang unverfänglich: »Die Erfindung betrifft ein Vakuumrohr, in dem nach bekannter Weise Strahlen für die Behandlung von Hautkrankheiten erzeugt werden, z. B. Röntgenstrahlen, Lichtstrahlen, dessen eine Fläche unmittelbar mit der zu behandelnden Stelle in Berührung gebracht wird.«
    Geyser hatte das Rad dafür nicht neu erfunden, seine Röhre stellte lediglich eine Verbesserung bestehender Konzepte dar. Das Neue daran: Die Röhre hatte eine rechteckige Form. So sollte man sie Stück für Stück auf der Haut ansetzen können, ohne dass es durch Überlappungen zu Mehrfach-Bestrahlungen von Hautarealen kam. Das klang vernünftig, zumal Röntgenstrahlen tatsächlich zur Bekämpfung aller möglichen Krankheiten von Ekzemen bis Krebs eingesetzt wurden.
    Mittelfristig aber sollte mehr daraus werden, und zwar auf einem erheblich spezielleren, kommerziell aussichtsreichen Gebiet: Geyser hatte einen Plan. Ab 1923 war seine Röntgenröhre fertig entwickelt, die er mit einer metallischen Beschichtung versah und offenbar fest glaubte, dass sie darum weitgehend unschädlich und für kosmetische Zwecke einsetzbar sei. In der Enthaarungs-Branche sah er eine finanzielle Zukunft, und er wusste, wie er es anstellen musste, mehr als einen Röntgen-Shop auf die Beine zu stellen: Sein »Tricho-System« bedurfte internationaler Anerkennung – am besten aus einem kultivierten Land in Übersee.
    Der Aufstieg seiner seit 1924 aktiven New Yorker Röntgen-Haarentfernungs-Klitsche begann am 19. Oktober 1925 in Paris. Dort bekam sein selbst entwickeltes Tricho-System den Großen Preis der Paris Exposition Generale Commercial verliehen, was deutlich wichtiger klingt, als es war.
    Industrieausstellungen waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts allgegenwärtig, und viele der dort verliehenen Preise waren das Blech nicht wert, aus dem die Medaillen gestanzt wurden. Geysers großer Preis kam von einer Vermittlungsagentur in London und kostete 400 Dollar – eine Auszeichnung auf Bestellung, zu zahlen nach der Verleihung.
    Das Investment zahlte sich aus. Geyser setzte auf ein Franchise-System, das die künftigen Betreiber seiner Tricho-Salons verpflichtete, seine Maschinen
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