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Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)

Titel: Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Autoren: Frank Patalong
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zubereitet hat. Ingenieur G.R. Severance bringt ein weiteres Sandwich in Position.
    Modern Mechanics , Dezember 1933

Das Tricho-System: Haar weg, Haut auch
    »Trial and Error« nennt man im Englischen die Methode, auszuprobieren, ob etwas funktioniert, und dann aus den Fehlern zu lernen. Kaum eine im späten 19. Jahrhundert erfundene Technologie wurde in so großem Maße durch »Trial and Error« erforscht wie die Röntgenstrahlung. Dazu zählen die Leidensgeschichten der Röntgenpioniere, nicht zuletzt aber auch die – aus heutiger Sicht klar erkennbaren – Missbräuche der neuen Technologie.
    Der erschreckendste, über 50 Jahre praktizierte Missbrauch ist dabei der wohl am wenigsten verzeihliche. Seine Vorgeschichte begann bereits wenige Wochen nach Röntgens Entdeckung: Überall, wo Forscher sich mit Röntgenstrahlung befassten, wurde von Nebeneffekten berichtet, die an Hautverbrennungen erinnerten – und oft mit teils massivem Haarverlust einhergingen.
    Der Fall von Herbert Hawks ist exemplarisch. Hawks war Student und Assistent des amerikanischen Röntgenpioniers Michael Pupin an der Columbia University. Jener hatte bereits im Frühsommer 1896 damit begonnen, nicht nur diagnostische Röntgenbilder zu erstellen, sondern die Strahlung auch als Therapiemöglichkeit bei Hautkrankheiten und Krebs zu untersuchen.
    Die ernsthaft-akademische Auseinandersetzung stand damals allerdings in keinem Widerspruch zu den höchst populären Anwendungen der Technologie. Pupins Assistent Hawks wurde zu einem frühen Röntgenopfer, als er im New Yorker Kaufhaus Bloomingdale Brothers die sensationellen neuen X-Strahlen öffentlich vorführte – Röntgenbilder waren eine höchst werbewirksame Sensation. Geoff Meggitt zitiert in seinem Buch Taming the Rays aus einem zeitgenössischen Bericht:
    Für vier Tage arbeitete Mr. Hawks während jedes Nachmittags und Abends für jeweils zwei bis drei Stunden an seiner Apparatur. Am Ende der vier Tage sah er sich durch die Effekte der X-Strahlen auf seinen Körper genötigt, die aktive Arbeit daran einzustellen. Das Erste, was Mr. Hawks bemerkte, war eine Trockenheit der Haut, der er keine Aufmerksamkeit schenkte. Doch nach einer Weile wurde diese so schmerzhaft, dass es nötig wurde, alle Tätigkeit einzustellen. Die Hände begannen anzuschwellen, ihre Haut nahm das Aussehen einer sehr schweren Sonnenverbrennung an. Nach zwei Wochen löste sich die Haut der Hände komplett ab. In besonderem Maße beeinträchtigt waren seine Knöchel, die zum schmerzempfindlichsten Areal der Hand wurden. Zu den weiteren Effekten zählten: das Wachstum der Fingernägel hörte auf und die Haare auf der Haut, die den Strahlen ausgesetzt waren, fielen komplett aus, insbesondere im Gesicht und an der Seite des Kopfes. Auch die Brust war durch die Kleidung hindurch verbrannt worden, die Verbrennungen erinnerten an Sonnenbrand. Mr. Hawks Beeinträchtigungen waren so schwer, dass er die Arbeit für zwei Wochen einstellen musste. Er nahm die Hilfe von Ärzten in Anspruch, die ihn als Fall schwerer Verbrennung behandelten.
    Damit war Hawks zu einem der ersten Opfer großflächiger Verbrennungen durch die Bedienung eines Röntgengerätes gewor-den – das erste Opfer, das solche Symptome zeigte, war er aber beileibe nicht. Schon Anfang 1896 hatte es Berichte in der britischen Fachpresse über Verbrennungen im Rahmen von Röntgenuntersuchungen und -vorführungen gegeben. An der amerikanischen Vanderbilt University hatte ein Probant Teile seiner Haare verloren und eine schwere Dermatitis entwickelt, nachdem man seinen Kopf eine Stunde lang geröntgt hatte. Extrem lange Bestrahlungszeiten waren in den Anfangstagen die Regel.
    In Wien setzte dann der Arzt Leopold Freund Ende 1896 den Haare vernichtenden Nebeneffekt der Strahlung erstmals bewusst und gezielt für eine Therapie gegen das stark behaarte Rücken-Muttermal einer Fünfjährigen ein – mit durchschlagendem Erfolg, auch wenn nachher die behandelte Hautfläche lange Zeit stark nässte. Vom Erfolg ermutigt, wurde Freund ein Vorreiter der Röntgen-Enthaarungsmethode, die er weiter mit gutem Erfolg einsetzte. Was heute kaum zu glauben ist: Die meisten Fachleute gingen lange davon aus, dass die Verbrennungen nicht durch die Strahlung selbst verursacht worden seien, sondern eine unerwünschte Nebenwirkung der »elektrischen Effekte«.
    Tricho-Werbung: Dependancen gab es außerhalb der USA auch in England, die Geräte wurden auch nach Frankreich und Deutschland
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