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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag
Autoren: Christoph Spielberg
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sich der Blinde zu ihm hin und mit ihm seine Pistole. Er ist sichtlich erregt.
    "Seien Sie still! Sie habe ich nicht gefragt."
    Zentis hat es nicht gerne, wenn er nicht gefragt wird. Wütend wendet er sich wieder zu mir.
    "Das ist alles Ihre Schuld, Hoffmann!"
    Das ist typisch für Zentis! Wenn immer etwas schief geht, wird nicht an der Problemlösung gearbeitet, sondern zuerst der Schuldige gesucht, beziehungsweise sichergestellt, dass ihn jedenfalls keine Schuld trifft. Wäre ich nicht in Handschellen an ein Heizungsrohr gefesselt, würde ich Zentis jetzt eins oder zwei auf die Nase hauen. Vorzugsweise mit ihm weiterhin in Handschellen. Denn Zentis war früher Zehnkämpfer und spielt immer noch jedes Wochenende Fußball, er ist mir in punkto Fitness deutlich überlegen. Und er kann mit seinem Räsonieren nicht aufhören.
    "Das ist alles Ihre Schuld! Habe ich Ihnen diesbezüglich nicht genug Vorschläge gemacht?"
    Endlich begreife ich, worauf er hinaus will.
    "Sprichst du mit mir als dem Sicherheitsbeauftragten der Humana-Klinik, Zentis? Ich lach mich tot!"
    Ärzte gelten bei der Krankenhausleitung offenbar als beliebig belastbar oder besonders doof, jedenfalls werden sie ohne größere Diskussion neben ihren medizinischen Aufgaben mit immer mehr Verwaltungsmüll zugeschüttet. Sie dürfen jede Menge zusätzlicher Stunden mit dem Ausfüllen von Bögen für die sogenannte Qualitätskontrolle, die Leistungserfassung, den Materialverbrauch verbringen. Sie müssen jede noch so dumme Anfrage von Krankenkassen beantworten. Und gegenüber der Klinikleitung schriftlich begründen, warum im vergangenen Monat die Behandlungskosten pro Patient um zweikommadrei Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat lagen.
    Mir hatte man nach einer entsprechenden Aufforderung der Innenverwaltung an alle Berliner Krankenhäuser auferlegt, mich zusätzlich um das Thema "Innere Sicherheit" an der Humana-Klinik zu kümmern. Eine dieser kleinen Extraaufgaben, zu denen man kommt, weil man die entscheidende Sitzung geschwänzt oder sich nicht rechtzeitig geduckt hat oder weil allen anderen eine bessere Ausrede eingefallen war. Seitdem durfte ich mich mit dem ehrenvollen Titel "Sicherheitsbeauftragter der Humana-Klinik" schmücken.
    Dabei gehen die Sorgen unserer Berliner Innenverwaltung über randalierende Alkoholiker oder durchgeknallte Junkies auf der Station hinaus: Könnten nicht Terroristen ein Krankenhaus übernehmen und weiß ich was basteln aus den Beständen in der Nuklearmedizin, tödliche Viren aus dem Hygienelabor klauen ("Freiheit für Versuchstiere!"), Patienten als Geiseln nehmen? Wie könnte man - aber bitte kostenneutral! - die Kliniken davor schützen? Jetzt sitzen wir an unsere vor einem guten Jahr neuinstallierten Heizkörper gekettet als Zeugen, dass diese Sorgen nicht ganz unberechtigt waren.
    "Ja, Zentis. Du hast tolle Vorschläge gemacht, wirklich. Was war das noch letzten Monat? Digitale Iriserkennung? Und davor, Metalldetektoren an jedem Eingang? Aber ich habe eine bessere Idee: Sollen wir nicht drüben in der Tierpension Sprengstoff-Schnüffelhunde ausbilden?"
    "Jedenfalls haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht", zischt Zentis, immer noch wütend.
    Tatsächlich verfolgte ich diesen Sicherheitsauftrag nicht mit allzu großem Enthusiasmus. Immerhin habe ich für das gesamte Klinikpersonal Plastikkärtchen mit Namen, Aufgabe in der Humana-Klinik und Porträtfoto eingeführt. Das war nervig genug, besonders, halbwegs aktuelle Fotos von den Mitarbeiterinnen zu bekommen.
    "Felix, mein Mann hat schon drei Filme verschossen. Ich sehe aus wie eine Kuh mit Kuhmilchallergie, auf jedem beschissenen Bild! Zahlt uns die Klinik keinen Fotografen?"
    Der Plan war, bestimmte Klinikbereiche durch elektronische Schlösser zu sichern, mit diesen Plastikkärtchen als Schlüssel. Aber für Anschaffung und Installation der elektronischen Schlösser hat die Vitalkliniken GmbH, seit zwei Jahren auch Eigner der Humana-Klinik, bisher keinen Cent bewilligt. Im Gegenteil: Eine der ersten Einsparungsmaßnahmen, nachdem der Vital-Konzern die bis dahin städtischen Krankenhäuser für einen symbolischen Euro gekauft hatte, war die Abschaffung der Pförtner in den Kliniken. Shareholder value! So nutzen die Kärtchen im Moment nur Leuten mit schlechtem Namensgedächtnis wie mir.
    Der Punkt ist, und das sollte Zentis als Chefarzt der Inneren Abteilung eigentlich wissen, dass hier vorerst überhaupt nichts eingebaut wird, weil die Vital-GmbH die
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