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Der verruchte Spion

Der verruchte Spion

Titel: Der verruchte Spion
Autoren: Celeste Bradley
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ansprach, war er vielleicht ein Diener oder gehörte zu ihrer Gemeinde.
    Sie stammte also aus der Gegend. Ein Mädchen vom Lande, das einem gestürzten Fremden am Wegesrand half.
    Eine ehrbare Frau? Sie sprach gewählt und war offenbar gebildet. Der Blick aus ihren blauen Augen war unschuldig und ohne Arg. Sie gehörte ohne Zweifel dem Adel an.

    In den entfernten Winkeln von Nathaniels pochendem Schädel begann eine Alarmglocke zu schellen.
    Der Mann kam eilig näher. »Miss Willie! Wir haben uns solche Sorgen um Euch gemacht! Als Ihr nicht nach Hause kamt, haben wir schon gedacht, Ihr wäret uns gestohlen worden.«
    Der Riese stürmte an Nathaniel vorbei, der in seinem Kielwasser fast zu Boden ging.
    »Warte nur, ich werde dich schon noch kriegen«, murmelte Nathaniel und schüttelte leicht den Kopf. Leise schwankend drehte er sich um und sah, wie der Mann eine von »Miss Willies« Händen in seinen Pranken begrub.
    »Ihr dürft uns nicht so erschrecken, Miss. Ihr wisst doch, dass ich mich leicht ängstige.«
    Der Mann schaute das Mädchen aus traurigen Augen an. Sie strich ihm tröstend über die Wange.
    »Es geht mir gut, John, wie du sehen kannst. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Ich bin unversehrt. Ich verbrachte die Nacht mit Mr Stonewell.«
    Nathaniel drohte zu ersticken. »Äh … nun … ja … das heißt …«
    Der Riese wandte sich Nathaniel zu und schaute ihn aus Dackelaugen an. »Die Nacht verbracht?«
    Oh, verdammt! »Nun, vielleicht …«
    »Und Ihr seid wohlauf, Sir?«
    Bitte? Nathaniel nickte zögerlich. »Hinreichend.«
    Einen kurzen Moment lang sah der große Mann aus, als wolle er weinen. Dann verzog sich seine Miene zu einer Grimasse, die Nathaniel nichts Gutes ahnen ließ.
    Als der Mann ausholte, machte sich Nathaniel auf weiteren Schmerz gefasst, doch der Hieb kostete ihn nicht mehr als das Gleichgewicht, denn der Riese klopfte ihm lediglich auf die Schulter. Während Nathaniel noch um seine Balance rang, wandte der Mann sich ab und rief einer
robust aussehenden Frau, die über den Feldweg auf sie zueilte, entgegen: »Hast du das gehört, Mrs Smith? Die ganze Nacht, Gott sei gelobt, und kaum ein Kratzer an ihm zu sehen!«
    Zum ersten Mal, seit er mit dieser seltsamen Frau in den Armen aufgewacht war, wurde sich Nathaniel seiner Situation voll und ganz bewusst. Er hatte die Nacht mit ihr verbracht, die ganze Nacht mit einer unschuldigen, offensichtlich anständigen jungen Frau, um die sich ihre Mitmenschen sorgten, wenn sie verschwand.
    Ein gewöhnlicher Mann hätte wahrscheinlich nach einem Ausweg gesucht, nach irgendeinem Schlupfloch, durch das er sich in Sicherheit bringen könnte. Ein gewöhnlicher Mann hätte möglicherweise einfach sein Pferd bestiegen, wäre diesem riesigen Missverständnis davongeritten und hätte die Frau zurückgelassen, um den Skandal alleine durchzustehen.
    Nathaniel war kein gewöhnlicher Mann.
    Er atmete tief ein, was das Pochen in seinem Schädel nur noch verstärkte. Dann wandte er sich an Miss Willa Trent und verneigte sich tief. »Miss Trent, würdet Ihr mir die au ßerordentliche Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«
    Willa starrte den Mann lange an. Mr Nathaniel Stonewell verharrte in seiner Verbeugung und streckte ihr ruhig die Hand entgegen. John, ihr Vormund, wartete mit angehaltenem Atem und hochrotem Gesicht, während seine Frau Moira mit Freudentränen in den Augen zu ihnen eilte.
    Am gestrigen Abend erst hatte sich Willa mit dem Gedanken an ewige Jungfernschaft abgefunden. Jetzt stand ihr ein vornehmer, gut aussehender Gentleman gegenüber und hielt um ihre Hand an.
    Er war freundlich gewesen, als er sie weckte. Und geduldig, als er sie ausfragte, selbst dann noch, als sie seine Fragen nicht beantwortete. O Gott, er war so schön, gerade jetzt,
da die Strahlen der Morgensonne sich in seinem zerzausten hellen Haar fingen …
    Wie im Traum beobachtete sich Willa, als sie ihm langsam eine Hand entgegenstreckte und in die seine legte. »Ja«, hörte sie ihre eigene Stimme sagen. »Ja, ich will.«
     
    Nathaniel saß an einem groben Tisch in der Kutschstation von Derryton. Ein riesiger Krug schäumenden Ales stand vor ihm, und der hünenhafte Sohn des hünenhaften Gastwirtes saß an seiner Seite.
    Der junge Mann – Dick? Oder hieß er Dan? – war in der letzten Stunde bei ihm gewesen, während Nathaniel dem gesamten Dorf vorgestellt worden war, selbstverständlich als Mr Stonewell. Alle hatten ihn freundlich angeschaut und dankbar die Hand geschüttelt.
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