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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Rowland
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zur Prostituierten ausgebildet wurde und als Dienerin der Kurtisanen eines ageya arbeitete – zum einen, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen, und zum anderen, um ihren späteren Beruf besser kennen zu lernen. Eine der Aufgaben einer kamuro bestand darin, sich um den persönlichen Besitz der Kurtisanen zu kümmern.
    »Die kamuro ist in der Küche, Herr.«
    »Holt sie her.«
    Der Bordellbesitzer verschwand und kam kurz darauf mit einem Mädchen von elf oder zwölf Jahren zurück. Sie war klein und mager; ihr ovales Gesicht war mit weißem Reispuder und Wangenrot geschminkt, und ihr Haar war dünn. Sie trug das traditionelle Gewand der kamuro , ein Kleid mit einem Muster aus Kiefernzweigen.
    »Das ist Chidori -chan , Herr«, stellte der Bordellbesitzer sie vor und wandte sich an das Mädchen. »Der sōsakan-sama will mit dir reden.«
    Chidori ließ den Blick verängstigt durchs Gemach schweifen. Dann starrte sie verschüchtert zu Boden und machte eine unbeholfene Verbeugung.
    »Hab keine Angst«, sagte Sano. »Ich möchte, dass du mir hilfst, die persönlichen Dinge von Kurtisane Wisterie durchzusehen.«
    Chidori nickte, doch Sano sah, wie sehr sie zitterte. Das Mädchen tat ihm Leid. Schon jetzt lebte sie wie eine Gefangene in Yoshiwara und war für ein Leben in sexueller Sklaverei bestimmt. Vielleicht hatte sie Glück und lernte irgendwann einen reichen Gönner kennen, der ihr die Freiheit kaufte; doch es war ebenso gut möglich, dass sie als Bettlerin auf den Straßen endete – ein Schicksal, das viele Kurtisanen ereilte, wenn sie zu alt wurden, um noch das Interesse von Freiern zu erregen.
    Sano führte das Mädchen zu den Wandregalen, Schränken und Truhen. Aufmerksam schauten beide sich die gefalteten Kleider und die Sandalen Wisteries an. Hoshina lehnte an der Wand und beobachtete aufmerksam jede Bewegung der beiden.
    »Nun, Chidori-chan? Fehlt etwas?«, wollte Sano von dem Mädchen wissen.
    »Das Gewand, das Kurtisane Wisterie … gestern Abend getragen hat … ist nicht mehr da.« Chidori riskierte einen raschen Blick auf Sano, schien endlich zu erkennen, dass er ihr nichts Böses wollte, und fuhr mit fester Stimme fort: »Sie trug einen schwarzen Kimono, der mit einem Muster aus lila Wisterienblüten und grünen Ranken bedruckt war.«
    Falls Wisterie dieses auffällige Kleidungsstück noch immer trug, würde es die Suche nach ihr erleichtern. Ein rascher Blick in Hoshinas Gesicht ließ Sano erkennen, dass der Polizeikommandeur denselben Gedanken hatte. Sano zog weitere Schubladen auf, in denen Wisterie die verschiedensten Dinge aufbewahrte: Decken, Toilettenartikel, ein Teeservice, eine Karaffe für Reiswein, Trinkschalen sowie ein Schreibkästchen, das einen Tintenstein, mehrere Schreibpinsel und ein Wassergefäß enthielt. In einer Schale befand sich Haarschmuck: Kämme aus Lackarbeit, Haarbänder und Haarnadeln, mit Seidenblumen verziert. Chidori erklärte, dass diese Gegenstände schon am Tag zuvor in den Schubladen gewesen seien, als sie die Schränke und Truhen aufgeräumt habe.
    Nun hatte Sano eine letzte und sehr unangenehme Aufgabe für das Mädchen. »Chidori-chan«, sagte er, »ich muss dich bitten, dir den Leichnam anzuschauen.« Er sah, wie das Mädchen unter der Schminke blass wurde, und fügte hinzu: »Du brauchst nur einen Blick auf den Toten zu werfen, Chidori. Sei tapfer.«
    Die kamuro schluckte schwer, nickte dann aber. Sano ging zum Bett und hob einen Zipfel der Decke an, die über den Toten gebreitet war, sodass das Mädchen nur den Kopf sehen konnte. Chidori schnappte nach Luft und starrte entsetzt auf die Haarnadel, die im rechten Auge des Ermordeten steckte.
    »Gehört auch diese Haarnadel Kurtisane Wisterie?«, fragte Sano.
    Chidori stieß einen leisen, kläglichen Laut aus und schüttelte den Kopf. Erleichtert zog Sano die Decke wieder über den Kopf des Toten. Dass die Haarnadel nicht Wisterie gehörte, war ein erster Hinweis auf ihre Unschuld.
    »Weißt du, wem diese Nadel gehört?«
    »Momoko- san «, flüsterte das Mädchen.
    Schon wieder die yarite . Momoko hatte Wisterie und Fürst Mitsuyoshi als Letzte gesehen; sie hatte die Leiche des ermordeten Fürsten entdeckt – und nach Aussage Chidoris gehörte ihr die Mordwaffe. Nahm man das alles zusammen, war nicht Wisterie die Hauptverdächtige, sondern Momoko.
    »Sieh dich noch einmal im Gemach um«, sagte Sano zu Chidori. »Bist du ganz sicher, dass nichts fehlt?«
    »Ja, Herr …«, antwortete das Mädchen, stockte dann
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