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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Rowland
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Bomben explodierten mit ohrenbetäubendem Donnerschlag, und tosende Feuersbrünste wüteten, während Sano sein Schwert gegen die Gespenster der Erinnerung schwang.
    Der schrecklichen Träume wegen war Sanos Schlaf so leicht und unruhig, dass er die Reiter hörte, kaum dass sie auf den Hof seiner Villa galoppiert waren. Er schreckte hoch, schlug die Decken zur Seite und setzte sich auf, für einen Moment verwirrt. Sein Atem bildete weiße Wölkchen in der frostkalten Luft in seiner Schlafkammer.
    Reiko, Sanos Gemahlin, hob den Kopf. »Was ist …?«, fragte sie schläfrig.
    Sie hatte d i e Frage kaum gestellt, als auf dem Flur die Stimme von Sanos oberstem Gefolgsmann Hirata erklang: »Verzeiht, wenn ich störe, sōsakan-sama , aber ich bin mit zwei Boten des Shōgun hergekommen. Sie müssen Euch unverzüglich in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«
    Kurze Zeit später, nachdem er sich rasch angekleidet hatte, saß Sano mit den beiden Boten im Wohngemach seiner Villa. Ein Hausmädchen schenkte Tee ein. Dann brachte der ältere der beiden Boten, ein vornehmer, würdevoller Samurai namens Ota, sein Anliegen vor. »Wir müssen Euch einen ernsten Vorfall melden, sōsakan-sama , um den Ihr Euch auf Befehl des Shōgun persönlich kümmern sollt«, sagte Ota. »Sein Vetter, Fürst Matsudaira Mitsuyoshi, ist tot. Wie Ihr wisst, war der Fürst nicht bloß ein Verwandter des Shōgun – er war zu seinem Erben und Nachfolger bestimmt.«
    Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatte Shōgun Tokugawa Tsunayoshi keine Söhne, sodass ein Verwandter benannt werden musste, der das Amt des Militärdiktators erbte, falls Tsunayoshi ohne Nachkommen starb. Als Vertrauter des Shōgun wusste Sano, dass Mitsuyoshi – fünfundzwanzig Jahre alt und einer der Günstlinge des Herrschers – der erste Anwärter auf das Erbe war.
    Ota fuhr fort: »Fürst Mitsuyoshi hat den gestrigen Abend in Yoshiwara verbracht. Heute früh wurde er dort erstochen aufgefunden.«
    Sano erschrak bis ins Mark. Der Mord an Fürst Mitsuyoshi war in der Tat ein sehr ernster Vorfall, denn jeder Angriff auf ein Mitglied des herrschenden Tokugawa-Klans war gleichbedeutend mit einem Angriff auf das Regime selbst – und das war Hochverrat. Somit waren auch die Ermittlungen eine heikle Angelegenheit: Wenn jemand ermordet wurde, der dem Shōgun so nahe stand wie Mitsuyoshi, musste man äußerst behutsam vorgehen.
    »Könnt Ihr mir schon Näheres über den Mord berichten?«, fragte Sano.
    »Wir wissen leider keine Einzelheiten«, entgegnete der jüngere der beiden Boten, ein stämmiger Hauptmann aus der Leibgarde Tokugawa Tsunayoshis. »Deshalb erteilt der Shōgun Euch den Befehl, die Umstände des Mordes aufzuklären und den Täter zu ergreifen.«
    »Ich mache mich sofort an die Arbeit«, sagte Sano und führte die Boten zum Ausgang, wo er sich höflich von ihnen verabschiedete.
    Die Arbeit als Ermittler war Beruf und Berufung zugleich für Sano. Nichts war ihm wichtiger als die Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, mit dem Ziel, Verbrecher ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Doch als erfahrener Ermittler wusste er, dass ihm eine sehr schwierige Aufgabe bevorstand. Schon jetzt lastete die Bürde der Verantwortung so schwer auf ihm, dass er nicht wusste, ob er sie zu tragen vermochte, denn für einen neuen großen Fall war er noch nicht bereit.
    Hinzu kam, dass die Nachforschungen im Mordfall Mitsuyoshi wahrscheinlich noch gefährlicher waren als die Ermittlungen gegen die Sekte der Schwarzen Lotosblüte, die Sano und Reiko alles abverlangt hatten. Sano kam sich wie ein Krieger vor, der wieder in die Schlacht ziehen musste, bevor seine Wunden verheilt waren.
    Aber Sano blieb keine Wahl, er musste gehorchen. Doch er wusste schon jetzt, dass er sich bei den Nachforschungen stets am Rande des Abgrunds bewegen würde. Ein falscher Schritt konnte zur Katastrophe führen.
     
    Nach einem langen, beschwerlichen Ritt durch die Kälte erreichten Sano, sein oberster Gefolgsmann Hirata sowie fünf Ermittler aus Sanos Polizei-Sondereinheit am späten Vormittag das Vergnügungsviertel Yoshiwara. Schneeflocken schwebten auf die Ziegeldächer der Gebäude. Der wolkenverhangene Himmel spiegelte sich in dem Wassergraben, der ganz Yoshiwara umschloss und das Viertel von der Außenwelt trennte. Das heisere Krächzen der Krähen, die über den Brachfeldern kreisten, klang schrill und gespenstisch in der Stille, und der Atem der Reiter und ihrer Pferde verwandelte sich an der kalten Luft
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