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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Barry Eisler
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viel Arbeit.«
    »Die gibt es immer«, sagte ich und legte auf.
     
    Ehe ich Hongkong verließ, sagte Dox mir, er könne das Geld nicht annehmen, das ich ihm überwiesen hatte. Er meinte, abgemacht ist abgemacht, und wir hätten schließlich fifty-fifty gesagt. Ich erwiderte, nach dem, was er für mich getan hatte, und nach dem, worauf er verzichtet hatte, um mich zu retten, könne ich ihm nicht weniger als hundert Prozent geben. Aber er ließ sich nicht überzeugen. »Wir kriegen bestimmt noch mal eine Chance«, sagte er und tätschelte mir in einer onkelhaften Anwandlung die Schulter. »Wart’s nur ab.«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, solche Chancen sind rar gesät.«
    »Stimmt auch. Aber diesmal waren wir eben noch nicht dran, basta.«
    Ich nickte. »Also gut. Du hast gewonnen. Überweis mir meinen Anteil zurück.«
    »Mach ich. Gib mir deine Kontonummer.«
    Ich kratzte mir den Kopf. »Verdammt, die hab ich vergessen.«
    »Ach hör doch auf, das ist nicht fair.«
    »Wenn sie mir wieder einfällt, schreib ich dir.«
    »Verdammt, du bist ein sturer Hund, das muss ich schon sagen.«
    Ich lächelte. »Danke, Dox. Du bist ein guter Mensch.«
    Er lächelte zurück. »Das sagst du nur, weil’s stimmt.«
    Ich streckte die Hand aus. Er ergriff sie, und dann zog er mich in eine kräftige Umarmung.
    Ach du meine Güte, dachte ich. Und erwiderte dann seine Umarmung ebenso kräftig.
     
    Ich flog zurück nach Rio.
    Die Stadt war warm. Hier, südlich des Äquators, war Sommer, und es tat gut, wieder zurück zu sein, am Strand zu spazieren, durchs Wasser zu waten, Choro zu hören, Caipirinha zu trinken und eine Weile wieder als Yamada zu leben.
    Ich wusste, dass es Leute gab, die vielleicht in Rio nach mir suchen würden. Aber man kommt nicht so leicht an mich ran, selbst wenn man weiß, in welcher Stadt man suchen muss. Und seltsamerweise fühlte ich mich nicht bedroht, wenn ich an die Leute dachte, die Bescheid wussten.
    Natürlich ist ein Geheimnis kein Geheimnis mehr, sobald andere davon wissen. Ich war ziemlich sicher, dass ich Kanezaki vertrauen konnte und er meine Akte entsprechend bereinigen würde, aber man kann ja nie wissen. Und auch, wenn er meine Bitte erfüllte, gab es möglicherweise Kopien davon. Mit meinen jüngsten Eskapaden hatte ich mir ein paar neue Feinde eingehandelt. Wenn sie nur gründlich genug suchten – wer weiß, was sie dann alles fanden.
    Doch im Augenblick fühlte ich mich sicher. Ich würde einfach die Nase im Wind halten und versuchen, über Tatsu und Kanezaki möglichst viel in Erfahrung zu bringen. Darüber nachdenken, was ich als Nächstes tun wollte.
    Mein Handgelenk und mein Bein verheilten allmählich. Meine Rippen brauchten länger. Ich wollte wieder mit meinem Training anfangen, mit dem Jiu-Jitsu im Barra. Aber eine ganze Weile brachte ich nur gemächliche Spaziergänge in der tropischen Abendluft zustande.
    Wahrscheinlich war der langsame Heilungsprozess gut für mich. Er verdeutlichte etwas, womit ich mich auseinander setzen musste: Ich wurde älter. Früher einmal hätte ich so einen Typen wie Belghazi zerlegt, ehe er mich hätte verletzen können. Jetzt jedoch waren meine Tricks und Taktiken zwar besser als die meines jüngeren Ichs, aber meine Schnelligkeit und meine Elastizität ließen nach. Wenn ich in jener Nacht am Kwai Chung allein gearbeitet hätte, wie ich das normalerweise tue, wäre ich dort gestorben.
    Ich versuchte, mir einzureden, dass es so in Ordnung gewesen wäre, dass es kein schlechter Tod gewesen wäre. An irgendwas muss man ja sterben. Aber das war Unsinn. Dass ich um ein Haar daran geglaubt hätte, rief mir eindringlich in Erinnerung, dass ich noch immer leben wollte. Ich konnte nicht genau sagen, warum. Aber es war nicht nur der Anblick eines Sonnenuntergangs oder der Klang von Jazz oder der Geschmack von Whiskey.
    Was hatte Delilah gesagt, sowohl abschätzig als auch mitleidig, als ich ihr diese Beispiele aufgezählt hatte? Das sind alles nur Dinge.
    Und: Wenn du nur für dich lebst, ist Sterben eine besonders beängstigende Perspektive.
    Die Spaziergänge wurden länger. Ich fing an, mich zusätzlich aufs Fahrrad zu schwingen. Meine Wunden heilten ab, aber sie dienten weiter als paradoxe Erinnerung, sowohl an die unvermeidliche Sterblichkeit als auch an mein fortdauerndes Leben.
    Meine Stadt am Meer war noch immer schön. Doch mit der Zeit merkte ich, dass Rio mich nicht mehr so entspannte wie früher. Ich stellte sogar fest, dass ich mich irgendwie
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