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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
Autoren: Carlos María Domínguez
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meinen Sie? Vertrödeln wir hier die Zeit?«, fragte er plötzlich und stand auf. Bevor ich Einspruch erheben konnte, zerrte Beppo an meiner Jacke, damit ich sie zum Abendessen begleitete, während Ademar uns liebenswürdig verabschiedete, aber anscheinend wenig davon hielt, was uns in dem Lokal erwarten würde, zu dem er uns auf keinen Fall begleiten wollte.
    Ich stieg in den Jeep, ohne zu wissen, was das für ein Ort war, an den sie mich bringen würden, wir kamen wieder am Riesenrad vorbei, am Arbeiterclub, am Polizeirevier, ebenso am Krankenhaus, und als wir hinter dem weichen Scheinwerferlicht in die Dunkelheit eintauchten, drehte sich Beppo auf dem Vordersitz um, berührte meinen Arm und deutete aus dem wild dahinruckelnden Wagen auf ein verwittertes, schiefes Schild.
    »Die alte Straße, sie führt hinter dem Friedhof entlang, vorbei an der Rückseite der Mine und trifft dann auf die 5er«, sagte er und drehte sich wieder um, »doch seit Jahren schon ist sie kaum passierbar.«
    Ich sah gerade noch einen Tintenfleck und einen krummen Pfosten neben einem Drahtzaun. Waren sie mir gefolgt? Machte er sich lustig? Der Jeep wackelte, als würde er im nächsten Moment auseinanderfallen, neigte sich gefährlich mal zur einen, malzur anderen Seite, holperte über Pflasterreste, lose Steine und Rinnen, die das Wasser gegraben hatte; weiter vorn wurde die Straße wieder fester, machte eine Kurve und verbreiterte sich; nach zweihundert Metern bogen wir rechts ab und hielten an einem Schuppen, den ein Kuhgerippe mit blauen Lampen in den Augenhöhlen schmückte, über dem ein paar weiße Pinselstriche verkündeten: »Die grüne Katze«. Davor stand ein Lastwagen mit Anhänger, und ein Fahrrad lehnte am geöffneten Tor, durch das ich den gestampften Lehmboden sehen konnte, ein paar verstreute Tische, eine Theke und hinten Holzstellwände, die in fahlem Licht versanken. Ein Mann trank einsam an einem der Tische, an den Wellblechwänden hingen Poster von Roberto Carlo, von Isabel Sarli und der Nationalelf von 1950, und mehrere Schnüre mit bunten Wimpeln senkten die Decke. Man hatte den Eindruck eines Zeltes, das sich in die Lüfte erheben würde, sobald man die Wimpel entfernte. Hinter der Theke, die nur wenige Spirituosen bot, lächelte uns ein Dickwanst mit großen Augenringen an, und eine dünne Frau rief dem Kommissar etwas Lustiges zu.
    Santana ging hin und redete mit ihr, wandte den Blick aber nicht von dem Mann am Tisch, während Beppo mir einen Platz anbot und erklärte, nirgendwo esse man besser. Im Radio spielte ein Akkordeon, neben der Theke gab ein weiteres Tor den Blick auf dichten, fettigen Rauch frei, der draußen von einemGrill kam, und kein Lüftchen linderte die Hitze, die die aufgeheizten Blechwände ausströmten. Eine Vorspeise und Wein wurden gebracht, gewaltige Portionen Lammfleisch, und in keinem Augenblick ließ der Lastwagenfahrer vom Trinken ab oder löste den Blick vom Boden. Bestimmt hatte er viele Kilometer hinter sich, gerade zu Abend gegessen und war immer noch angespannt oder umklammerte das Glas so fest, aus Angst, es zu verlieren. Er hatte einen Dreitagebart, und aus den hohlen Wangen stieg die Schwermut, vielleicht weil es ein langer Weg war bis nach Hause. Fern von den Seinen neigte er den Kopf zur Seite, reglos in dem grünen Lichtkegel, der an den Blechwänden erstarb. Die dünne Frau kam zu uns, um Beppo mit dem Namen eines Zollbeamten auf die Sprünge zu helfen, und auf dem Rückweg zur Theke bewegte sie ihr knochiges Hinterteil im Takt zur Musik, die aus dem Radio tönte. Sie drehte sich zweimal nach links, einmal nach rechts und legte dann wieder die Hände in den Schoß, während der Dickwanst neben ihr, matt von der Hitze, in einer Zeitschrift blätterte.
    Der Zollbeamte aus Beppos Erzählung hatte eine Geliebte in Aceguá, eine Ehefrau in Melo und einen Schwager, der Tag für Tag auf dem Motorrad an seiner Zollstation vorbeikam, beladen mit zehn Gasballons und ganzen Beuteln voll Limonadenflaschen. »Ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben«, er konnte nicht aufhören mit seinen Geschichten,wollte uns partout unterhalten. »Stellen Sie sich dreißig Kerle vor, die steigen jeden Tag auf ein Motorrad mit Lastwagenstoßdämpfern, überqueren die Grenze und laden in Aceguá so viele Gasballons und Lebensmittel auf, dass sie beim Losfahren zwei Männer anschieben müssen, dann fahren sie die siebzig Kilometer bis nach Melo und lassen vor der Zollstation einen Geldschein fallen.
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