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Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Der verlorene Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Freund: Roman (German Edition)
Autoren: Carlos María Domínguez
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Augen und wartete auf meine Antwort.
    »Ich weiß nicht, Wanda, warum das Bild so wichtig für Sie ist, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«
    Sie lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete mich neugierig.
    »Ich hatte gedacht, wir könnten uns verständigen«, sagte sie.
    »Das will ich gar nicht ausschließen, nicht einmal, wenn es um Ihren Bruder geht.«
    Da schien ihr einzufallen, unter welchen Umständen wir uns kennengelernt hatten, und ihre Hand auf dem Stockknauf zuckte. Der Griff war aus Bein, ohne Firlefanz. Der Stock wiederholte senkrecht neben dem Sessel die gerade Linie von ihrem Rücken, Hals und Willen. Fest packte sie den Knauf mit ihren langen Fingern und fragte, ob ich Waldemars Leidenschaft geteilt hätte. Wenn sie die Kunst meine, entgegnete ich, sei ich nur ein neugieriger Zaungast, und um mich liebenswürdig zu zeigen, erzählte ich ihr von unseren Mutmaßungen über das Mädchen auf dem Bild. Wanda wusste nichts über Julieta de la Fuente oder Julio Herrera, kannte aber das Bild, das ich im Malba gesehen hatte. In der Sammlung, diesie von ihrem Mann geerbt hatte, befanden sich ein halbes Dutzend Sáez-Porträts. Sie sagte, Bruno habe Waldemar den Sáez »zu einem lächerlichen Preis« verkauft, und schürzte die Lippen. Das warf zumindest etwas Licht auf ihr Interesse, ob sich daraus nun ein persönlicher Grund ableiten ließ oder nicht.
    Wanda sammelte lateinamerikanische Kunst, besaß eine Galerie in São Paulo, hatte gerade eine weitere in Mexiko-Stadt eröffnet, und mir schien, als handelte sie mit dem Kapital mehrerer Unternehmen. Als sie mit ihrer imposanten Aufzählung zu Ende war, konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, ich hätte gedacht, Waldemar habe nur zwei Freunde gehabt.
    »Mein Mann war nicht Waldemars Freund. Nicht wirklich«, verbesserte sie sich. Sie wandte den Kopf zur Seite und verzichtete zum ersten Mal darauf, mich anzublicken. Ich war froh, nicht mehr den Druck ihrer Augen zu spüren, und sei es nur für einen Moment. Das Make-up um Wangenknochen und Mund betonte den Stolz, der ihr, wie ich erriet, schon immer eigen gewesen war. Da erzählte sie mir, ihr Mann habe Waldemar mit der Frau hintergangen, die so unverschämt gewesen sei, bei der Beerdigung zu erscheinen, Waldemar habe es gewusst und sie habe ihn nicht beschützen können. Sie sah mich wieder an und fügte hinzu: »Mein Bruder, wissen Sie, hat sich geschämt. Nicht, weil er einen schweren Fehler begangen hätte; das hat er womöglich nie. Es erstauntmich nicht, dass er sein einziges Delikt gegen sich selbst begangen hat.«
    Nach diesen Worten klingelte ihr Handy. Sie versprach, zurückzurufen, sobald sie Zeit habe, nahm ihren Stock, stand auf und bat um meinen Arm als Stütze. Ich bekenne, dass ich im Glauben losging, sie würde mir ihre Sammlung zeigen, um mich noch mehr zu beeindrucken, aber nach ein paar Schritten stand ich vor der Tür. Bevor sie mich verabschiedete, sagte sie, sie biete meinem Freund das Doppelte des Kaufpreises, streckte mir die Hand entgegen, und das Dienstmädchen begleitete mich zum Eingangstor.

Zwei
    Ich malte mir das unheimliche Quartett im Garten der Carrasco-Villa aus, Waldemars Blick, als seine Schwester ihm ein Glas reichte, beide entschlossen, von der Sommernacht zu reden, während Nina Richtung Bad verschwunden war und Bruno etwas in der Küche zu erledigen hatte. Hansens Selbstmord mochte gewöhnliche, fremdgängerische Gründe haben. Aber auf wie viele verschiedene Weisen hätte er sich noch schämen können, und weshalb sollte ein Kreuz ihm Angst eingejagt haben?
    Meine Fragen überschlugen sich, als Eva anrief und sich bedankte, weil ich ihr einen Käufer für das Bild vermittelt hatte. Ich wusste, dass sie in Montevideo war und die Wohnung auflöste, denn Lerena war vorbeigegangen, um das Gemälde abzuholen, und hatte mir erzählt, er habe auch die Kykladenidole gekauft, die ich dort auf dem Wandbord hatte stehen sehen. Ich fragte, wie es ihr gehe, und sie lud mich zum Abendessen in ein Restaurant in der Calle Williman ein, wo sie mir erstaunlich jung vorkam, geistreich sogar. Sie trug das Haar nun kurz, was ihre Nase betonte und die Tiefe ihrer dunklen Augen. Sie waraufgeregt, weil man ihr ein Angebot für die Wohnung gemacht hatte, beklagte sich, wie viel Mühe es koste, die Möbel loszuwerden, und sprach beim Essen immer wieder von Waldemar. Eine Seele von Mensch, sagte sie, soweit sie zurückdenken könne, habe er ihr nicht die kleinste Bitte abgeschlagen, ob
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