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Der verletzte Mensch (German Edition)

Der verletzte Mensch (German Edition)

Titel: Der verletzte Mensch (German Edition)
Autoren: Andreas Salcher
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nicht wieder sofort auf die Schipiste können, sagt uns unsere Vernunft. Dass auch ein gebrochenes Herz heftig schmerzen kann und wir uns nicht sogleich ins Leben stürzen können, wollen wir nur schwer akzeptieren. Erst wenn wir den Protest überwunden haben, können wir uns eingestehen, dass wir wie jeder Mensch verletzbar sind und uns das Ereignis auch verändert hat. Dann erlauben wir uns selbst eine Zeit des Leidens. Wenn wir Protest und Leid durchgemacht haben, können wir wieder neu durchstarten oder wie André Gide so schön schreibt:
     
    „Der Mensch kann nicht zu neuen Ufern aufbrechen, wenn er nicht den Mut aufbringt, die alten zu verlassen.“
     
    Leider schaffen nicht alle Menschen diesen Neuanfang nach einer Krise oder ihr ganzes Leben wird sogar zu einem einzigen Leiden, aus dem sie kein Entkommen mehr sehen. Natürlich sind wir selbst schon tief gekränkt worden. Aber würden wir deshalb ausrasten oder gar selbst Hand an uns legen? Es gibt keine objektive Maßeinheit dafür, wann eine Verletzung einen Menschen völlig in seine negativen Urinstinkte zurückwirft. Für Außenstehende sind es oft unverständliche Kleinigkeiten, die einen Menschen verzweifeln oder durchdrehen lassen.
    Wie groß ist der Eisberg an seelischen Verletzungen tatsächlich, der sich unter der Spitze der wenigen veröffentlichten Fälle verbirgt?
    Die Mördergruben unserer Seelen
    Woran sterben jährlich mehr Menschen in der EU als die Summe aller Straßenverkehrsunfälle, Gewaltverbrechen und HIV/AIDS zusammen genommen? Die Antwort ist einfach und tragisch: durch die eigene Hand.
    Jährlich begehen 58.000 EU-Bürger Selbstmord. Sie werfen sich vor Züge, sie erschießen sich, sie hängen sich auf, sie vergiften sich, sie schneiden sich die Pulsadern auf, sie springen von Brücken. Hat sich der erste Schreck über diese Zahl einmal gelegt, antworteten mir viele meiner Gesprächspartner: „Jetzt, wo ich genau nachdenke, fällt mir auf, dass ich in meinem Bekanntenkreis mehr Menschen kenne, die sich umgebracht haben, als jene, die durch einen Unfall starben.“
    Es kommt noch schlimmer. Die Zahl der Suizidversuche übersteigt die der begangenen Selbstmorde um das Zehnfache. Weit über eine halbe Million Menschen versuchen sich in der EU jedes Jahr das Leben zu nehmen. Bei jungen Menschen stehen den sehr vielen Selbstmordversuchen nur wenige tatsächlich realisierte gegenüber. Selbstmordversuche von Jugendlichen sind meist Hilfeschreie. Junge Menschen haben das Gefühl: Wenn sie nach dem Schulwechsel wieder keine Freunde finden, wenn sie wieder gemobbt werden, wenn die Diät nichts bewirkt, sehen sie für sich keinen Ausweg mehr.
    Einen erschreckenden Umstand haben sehr viele Selbstmörder gemeinsam: Es gibt niemanden, dem sich diese Menschen anvertrauen können. Viele, vor allem Ältere, sind so isoliert, dass sie tatsächlich völlig allein leben. Die jungen Selbstmordkandidaten sind zwar scheinbar ständig von anderen umgeben. Sie gelten nur als schweigsam, unauffällig und als ein bisschen sonderbar. In ihrem Inneren fühlen sie sich jedoch vollständig ausgestoßen, nicht gut genug, letztlich nicht wichtig genug, damit ihre Hilfeschreie von jemandem auch gehört werden. Nicht dazugehören zu dürfen ist das Schlimmste, was einem jungen Menschen passieren kann. Es mag zwar für viele unvorstellbar klingen, aber es gibt einfach sehr viele Menschen, die nicht einen einzigen Freund haben.
    Natürlich ist es nach wie vor eine sehr kleine Minderheit, die glaubt, die letzte Konsequenz ziehen, den Selbstmord begehen zu müssen. Die Zahl der Selbstmorde geht sogar leicht zurück. Dafür breitet sich das seelische Leiden wie eine unsichtbare Seuche immer mehr aus. Jeder vierte EU-Bürger ist in seinem Leben mindestens einmal von einer ernsthaften psychischen Erkrankung betroffen; jährlich leiden innerhalb der EU 18,4 Millionen Menschen zwischen 18 und 65 Jahren an starken Depressionen. Psychische Probleme sind das am schnellsten zunehmende Krankheitsbild. Es kann also jeden treffen – auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen.
    Was wir gegen Verletzungen tun können – erste Antworten
    Ein Leben ohne Verletzungen kann es nicht geben. Fällt Ihnen ein Film oder ein Roman ein, dessen Hauptfigur im Laufe der Handlung nicht verletzt wird? Ja in den meisten Geschichten ist eine Verletzung sogar die entscheidende Kraft, die den Helden antreibt. Selten wird das so deutlich wie bei Harry Potter, dem sein größter Feind Voldemort seine
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