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Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Matratze, legten ein mit kaltem Wasser getränktes Tuch über ihren Kopf und begannen laut zu weinen, als seien Vinja und Baksa bereits gestorben.
    »Wir müssen einen Arzt rufen«, sagte eine der Frauen, als Baksa wieder bei Besinnung war. »Man muß die Wunden zunähen.«
    »Kannst du einen Arzt bezahlen?« fragte Baksa. »Und wer kommt schon zu uns? Ich habe eine andere Idee. Wir bringen Vinja zum Krankenhaus der ›Missionarinnen der Nächstenliebe‹. Wir bringen sie zu Mutter Teresa.«
    »Ein guter Gedanke, Baksa.« Die Frau, die ihr das nasse Tuch über die Stirn gelegt hatte, wandte sich den in die Hütte Drängenden zu. »Eine Handkarre!« rief sie laut. »Besorgt sofort eine Handkarre! Und zwei kräftige Kerle müssen her – es ist ein weiter Weg zu Mutter Teresa.«
    Eine Handkarre war schnell gefunden. Baksa legte die leise wimmernde Vinja, eingewickelt in das blutbespritzte Handtuch und eine alte Decke, in das Wägelchen, und zwei Nachbarn, mit Haut überzogene Gerippe, umhängt mit zerfetzter Kleidung, spannten sich vor den Karren und zogen ihn über die glitschigen, stinkenden Wege.
    Über drei Stunden brauchten sie, bis sie die Krankenstation von Mutter Teresa und ihren Schwestern erreichten. Sie kamen in ein Gewühl von Menschen, die vor den langgestreckten Gebäuden auf der Erde lagerten. Ein Heer von Elenden, Kranken und Sterbenden.
    Die Kongregation der ›Missionarinnen der Nächstenliebe‹ unter Leitung von Schwester Teresa ist eines jener Wunder der Menschlichkeit, die den Glauben an die Barmherzigkeit Gottes nicht verlöschen lassen. So wie das afrikanische Urwaldhospital von Albert Schweitzer in Lambarene zum Inbegriff der Nächstenliebe und des tätigen Christentums wurde, so blickt die Welt jetzt auf die Mission von Schwester Teresa in Indien. Den ärmsten, erschreckendsten und erbarmungslosesten Ort hatte sie sich ausgesucht, das Zehn-Millionen-Ungeheuer Kalkutta, die Stadt, in der die Verhungernden neben den heiligen Kühen auf der Straße sterben, wo weggeworfene Säuglinge herumliegen und Greise öffentlich verfaulen.
    Hier baute Schwester Teresa ihren Orden der Barmherzigkeit auf, hier sammelte sie die Elendesten der Armen, gab ihnen zu essen, versorgte ihre Wunden und hielt ihre Hände, wenn sie diese feindliche Welt verließen. Die ›Mutter der Sterbenden‹ nannte man sie bald in Kalkutta; ihre Stimme hörten alle Menschen, denn ihr ganzes Wirken lebte nur von den freiwilligen Spenden. Sie war eine Bettlerin für die Menschlichkeit. Auch als sie den Friedens-Nobel-Preis verliehen bekam, eine kleine, zusammengeschrumpfte Frau mit einem von der Sonne Indiens verrunzelten Gesicht, der der schwedische König ergriffen die dürren Hände drückte, war es für sie selbstverständlich, das große Geld dieses Preises in ihre Mission zu stecken und sie weiter auszubauen. Wenn es auf dieser Erde eine ›lebende Heilige‹ gibt, dann ist es Mutter Teresa, die den Menschen Gottes Güte gibt.
    Baksa hatte Glück – Mutter Teresa war auf der Station. Mit lautem Geschrei schoben die zwei Männer den Handkarren durch die Menge, gefolgt von zwanzig Frauen, die kreischten und klagten. Baksa stützte sich auf den Rand des Karrens und warf immer wieder schreiend die Arme in die heiße, stickige Luft. Einige Schwestern des Ordens versuchten zu erfahren, was geschehen sei, aber sie wurden von den Frauen niedergebrüllt, die wie im Sprechchor riefen: »Mutter Teresa! Mutter Teresa! Hilf uns! Hilf uns!«
    Es gelang ihnen, bis zu Schwester Teresa vorzudringen. Sie kam aus dem Krankenhaus, sofort umringt von anderen Kranken, und sie war in der Masse der Menschen so winzig, daß Baksa sie erst erkannte, als sie neben dem Karren stand.
    Sofort fiel sie auf die Knie, streckte flehend die Arme aus, und obwohl sie eine Hindu und keine Christin war, rief sie voll erschütternder Verzweiflung: »O heilige Mutter, sieh dir das an! Von der Arbeit komme ich zurück und finde Vinja, meine kleine, arme Vinja, in ihrem Blut liegend vor. Die Zehen hat man ihr abgehackt. Alle Zehen des linken Fußes! Wer kann so etwas tun? Sind das noch Menschen? Wird meine Vinja jetzt sterben? Hilf uns, o gnädige Mutter.«
    Mutter Teresa schob die Decke und das blutige Handtuch weg und beugte sich über das Kind in dem Handkarren. Sie sprach kein Wort, hob das linke Beinchen hoch und betrachtete die schreckliche Verstümmelung. Ihr runzeliges Gesicht blieb unbeweglich. Wer so viel Elend gesehen, miterlebt und miterlitten hat, den
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