Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
und für eingedoste Blutwurst mit Speck bekam er Bananen, Apfelsinen, eine Ananas und saftige Feigen.
    An einem dieser Abende, wo man sich satt gegessen hatte und Tawan sich wie ein Radscha fühlte, seinen vollen Bauch genoß und etwas müde war vom Hinunterschlingen der Speisen, geschah die Verwirklichung seines geheimen Traumes. Baksa kroch an seine Seite, er spürte, daß sie nackt war, und als sie an seinem Hals flüsterte: »Nur so kann ich dir danken für alles, Bruder!«, gab er sich ganz einer Leidenschaft hin, von der er wußte, daß sie schändlich war.
    Von diesem Abend an war Baksa, seine Schwester, seine Geliebte. Sie war das zärtlichste Wesen, das er sich denken konnte, und sie brachte ihm alle Arten der Liebe bei, die sie als Hure gelernt hatte.
    An einem Maitag, morgens um fünf Uhr, kam Baksas Kind zur Welt. Zwei Frauen aus der Nachbarschaft halfen bei der Geburt, und Tawan lief aus der Hütte hinunter zum Hugli-Fluß, denn das Stöhnen und helle Schreien Baksas bei der Geburt zerrissen sein Herz. Als er nach Stunden zurückkam, lag Baksa mit einem seligen Lächeln unter ihrer so oft geflickten Decke, und zwischen ihren Brüsten schlief das Kind.
    »Ein Mädchen«, sagte sie leise, als Tawan nähertrat. »Und es sieht wie von einem indischen Vater aus. Ein hübsches Kind, Bruder. Ich will es Vinja nennen. Komm, leg dich neben mich und wärme mich. Mir ist kalt – ich habe viel Blut verloren, sagen die Frauen.«
    Tawan nickte, zog sich aus und drückte sich an Baksa. So lagen sie eine Weile stumm nebeneinander, bis Vinja erwachte und schmatzende Laute von sich gab.
    »Sie hat Hunger«, sagte Baksa leise. »Sie muß jetzt trinken.« Sie schob den kleinen Kopf mit dem winzigen Mund an ihre linke Brust und drückte die Brustwarze gegen die suchenden Lippen.
    »Hast du denn Milch?« fragte Tawan.
    »Jede Mutter hat Milch«, antwortete Baksa. »Nur, ob ich sie satt bekomme, das weiß ich noch nicht. Ich weiß nur eines: Vinja wird nicht an Hunger sterben. Ich kämpfe um ihr Leben – es gibt so viele Arten von Kampf.«
    Das war nun schon über sechs Jahre her, aber die Erinnerung war so greifbar, als läge alles nur ein paar Wochen hinter ihm.
    Tawan erwachte wie aus einem Traum, weil der Hintermann ihn in den Rücken stieß – es ging weiter. Tawan war jetzt der Dritte in der Reihe der Wartenden. Der Mann, der nun aus dem gelben Haus kam, brachte ein strahlendes Gesicht mit: Man hatte ihn genommen, und viele sahen ihn neidisch an und beteten im Stillen, daß sie auch so viel Glück hätten.
    Was ist Glück? dachte Tawan. Das, was mich da hinter der Tür erwartet? Eigentlich ist es nur ein Tausch: Ich bringe eine Ware, man will sie kaufen und bezahlt dafür. Ein Geschäft, aber ein gutes, ein einmaliges, ein außergewöhnliches Geschäft, und wenn es gelingt, ist es also doch eine Art von Glück.
    Mein Leben ist, genau betrachtet, eigentlich glücklich gewesen, dachte er weiter. Ich wohne an der Hauswand der Punjab National Bank, liefere ehrlich jede Woche zehn Prozent beim Lieutenant der Polizei ab, kein Polizist belästigt mich, die Bank hat sich an meinen Anblick gewöhnt, und obwohl die Arbeit auf den Ghats am Hugli-Fluß immer seltener wurde, habe ich weniger Hunger gelitten als die Millionen in den Slums.
    Ja, und Vinja war da, wohnte mit ihm unter dem Holzdach. Vinja, das Kind von Baksa, seiner geliebten Schwester. Sie war nun bald sieben Jahre alt, ein hübsches Mädchen, und da Tawan ein ehrlicher Bursche war, leugnete er auch nicht, daß er einen großen Teil seines Verdienstes Vinja verdankte.
    Ihr Götter, was war in den letzten Jahren nicht alles geschehen! Es war wie in einem Boot gewesen, mal oben auf den Wellenkämmen, mal unten im Wellental, und der Sturm des Elends hatte sie herumgeschleudert.
    Wie nahe das noch alles ist, dachte Tawan. Man möchte danach greifen, als sei es heute, eben gerade geschehen.
    Er starrte gegen die gelbe Hauswand und auf das Schild ›Laboratory‹, hinter dem ein neues Leben beginnen konnte.
    Noch zwei Mann, dachte Tawan, dann öffnet sich für mich die Tür. Dann habe ich die Hölle vor mir oder das Paradies.
    Vinja war ein Jahr alt geworden, lief nackt durch die von faulendem Abfall stinkenden Gassen der Slums, spielte in brackigen Pfützen, die nach jedem Regen die Wege fast unbegehbar machten, und bekam den kugeligen Bauch aller Kinder, die hungern mußten, bis sie dann unaufhaltbar schnell zu elenden Gerippen wurden.
    Tag und Nacht war Tawan unterwegs,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher