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Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Abfallhalden am Rande der Stadt. Dort krochen Tausende von Hungernden durch die Müllberge, wühlten sich in die Haufen, die riesige Speziallastwagen tonnenweise auskippten, und schleppten in Flechttaschen oder alten Säcken alles weg, was eßbar war.
    Eines Tages kam der alte Alipur von einem Bettelgang ins Innere der Stadt nicht mehr zurück. Ihn zu suchen war völlig sinnlos; wenn er, vom Hunger entkräftet, irgendwo in Kalkutta zusammengebrochen und auf der Straße gestorben war, hatte man ihn längst, wie hundert andere, auf einen Lastwagen geworfen, eben wie Müll, und fortgekarrt, und niemand fragte, wo man ihn abgeladen hatte.
    Tawan, Baksa und ihre alte Mutter sprachen vorsorglich ein Totengebet und teilten die Nahrungssuche neu ein. Sumba, die Mutter, durchwühlte jetzt die Müllhalden, Tawan, ein erstaunlich kräftiger Junge trotz des ständigen Hungers, suchte Arbeit am Fluß bei den Ghats, und Baksa, nun vierzehn Jahre alt, beschenkt mit einem schönen, schlanken Körper und kleinen, festen, runden Brüsten, machte ihre Schönheit zum Kapital und wurde Hure. Mit Beginn der Abenddämmerung strich sie an den großen Hotels vorbei oder am Rande der Parks von Eden Garden oder der Polo Grounds, und es gab immer einen Mann, den der junge, mädchenhafte Körper reizte und der ihm ein paar Rupien wert war.
    So lebten die Alipurs gar nicht so schlecht in ihrer Slumhütte, bis auch Sumba, die Mutter, nicht mehr von den Müllkippen zurückkam. Sie suchte gerade nach Essensresten, als über ihr ein Müllwagen seine Tonnen Abfall ablud und über ihr ausschüttete. Irgendein harter Gegenstand traf sie, durchschlug ihre Hirnschale und löschte ihr Leben sekundenschnell aus. Nachfolgende Müllwagen schütteten sie zu; man brauchte sich keine Gedanken mehr zu machen, wohin mit der Leiche.
    Eines Tages – sie saßen am Ufer des Hugli-Flusses und hatten wie fast jeden Abend gebadet und sich vom Tagesschweiß befreit – sagte Baksa zu Tawan: »Bruder, es wird sich einiges ändern.«
    »Und was soll das sein?« fragte Tawan zurück.
    »Ich bekomme ein Kind.«
    Tawan starrte seine Schwester an, holte tief Luft und umklammerte dann seine Knie. »Wer ist der Vater?«
    Baksa zuckte mit den Schultern und warf sich in den dreckigen Ufersand zurück. Sie sah wunderbar aus unter den letzten Sonnenstrahlen, die ihre Haut kupfern schimmern ließen. Ihre Nacktheit erregte Tawan, und obgleich er ihr Bruder war, hatte er oft den heimlichen Wunsch gehabt, Baksa unter sich zu ziehen und das zu genießen, für das andere Männer gute Rupien zahlten. »Wer?« fragte er noch einmal mit belegter Stimme.
    »Wie kann ich das wissen?« Baksa dehnte sich wie eine sich räkelnde Katze. »Von vielen kenne ich nicht einmal ihre Namen. Sie haben bezahlt, allein das war wichtig. Es kann ein Inder sein, ein Weißer, ein Japaner – wir werden es sehen, wenn das Kind da ist.«
    »Du willst es dir nicht wegmachen lassen?«
    »Nein. Tawan, Bruder, überlege: Ein Kind ist ein Kapital. Wenn ich mit einem Kind bettele, finde ich mehr offene Herzen. Und wenn es ein schönes Kind wird – vielleicht brauche ich dann nicht mehr eine Hure zu sein. Ich ekele mich vor jedem Mann, nur vor dir nicht, Bruder.«
    Sie streichelte ihm dabei über die Hüften, es war wie ein warmer, sanfter Windhauch, und Tawan seufzte, schloß die Augen und gab sich dem Gefühl hin, Baksa gleite über ihn und nähme ihn in sich auf. »Wir werden auch das Kind durchs Leben bringen«, sagte er mit schwerem Atem. »Du brauchst dich nicht mehr fremden Männern hinzugeben für ein paar Rupien – ich werde für uns alle doppelt so viel arbeiten.«
    Es war ein Versprechen, das schwer zu erfüllen war. In jenen Jahren wucherte Kalkutta wie ein Schimmelpilz in die Breite, und je mehr Menschen in die Stadt strömten, um so unfaßbarer wurde das Elend der Armen. An den Schiffsanlegestellen schlugen sich die Arbeitssuchenden gegenseitig fast tot, um für ein paar Stunden Säcke, Fässer oder Kisten an Land zu schleppen, wenn die neuen riesigen Ladekräne überhaupt noch einen Job übrigließen.
    Tawan schaffte es immer wieder, ein paar Rupien nach Hause zu bringen und von den Schiffen, die Lebensmittel aller Art für die Feinkostläden der reichen Stadtviertel heranbrachten, ab und zu einen Karton zu stehlen. Damit ging Tawan dann in den Großmarkt und begann zu tauschen: eine Dose Gänseleberpastete gegen ein gutes Stück Lammfleisch, ein großes Glas mit Garnelen gegen ein Säckchen Reis,
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