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Der verkaufte Tod

Der verkaufte Tod

Titel: Der verkaufte Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nächsten Tag. Ich muß raus, Baksa, ich kann hier nicht mehr leben.«
    »Und wo willst du hin?« fragte sie.
    »In die Stadt. Mitten in die Stadt.«
    »Und schläfst neben den heiligen Kühen in der Gosse? Willst du uns alle umbringen, Tawan? Hier habe ich noch ein Stück Erde, das mir gehört, mit einem Dach darüber, das auch der stärkste Regen nicht durchstößt. Ich gehe nicht weg von hier, und mich verkaufen kann ich überall.«
    Tawans Müdigkeit war zu groß, als daß er jetzt noch einen Streit hätte anfangen können. Er ging in die Hütte zurück, legte sich hin und schlief sofort ein. Er spürte nicht mehr, daß Baksa ihren schmalen, schönen, nackten Körper an ihn schmiegte und in die Beuge seines Halses flüsterte: »Tawan, mein Bruder, ich liebe dich. Geh nicht weg, bitte, geh nicht weg – Baksa und Vinja brauchen dich.«
    Vier Tage später holten Baksa und Tawan die kleine Vinja bei Mutter Teresa ab. Sie wurden in einen fast kahlen, weiß getünchten Raum geführt, wo nur ein Tisch und vier Stühle standen und sich an der Decke der Propeller des Ventilators mit leisem Knirschen drehte. Man schien sie erwartet zu haben: Ein Polizist saß auf einem der Stühle und sah Tawan und Baksa forschend und mit strengem Blick an.
    Ein wartender Polizist ist immer eine gefährliche Begegnung, vor allem wenn man in den Slums wohnt und kaum ein Tag vergeht, an dem man nicht irgendein Gesetz gebrochen hat. Diebstahl ist dabei die geringste Tat, und Prostitution ist überhaupt kein Thema. Was also wollte der Polizist bei Mutter Teresa? Tawan rollte schnell die letzten Wochen seines Lebens auf und fand nichts, was ihn verunsichern konnte. Hinter ihnen, in der Tür, wie ein Wachposten, stand eine der Missionsschwestern.
    »Du bist Tawan Alipur?« fragte der Polizist und streckte den Zeigefinger wie eine Messerklinge nach ihm aus.
    »Ja.«
    »Und du bist Baksa, seine Schwester?«
    »Ja.«
    »Die Mutter von Vinja?«
    »Ja.« Baksa preßte die Hände flach gegen die Schläfen. Ihre Augen wurden starr. »Warum fragst du? Ist … ist etwas mit Vinja geschehen? Lebt sie nicht mehr?«
    »Sie lebt, aber ihr linker Fuß –«
    »Wir wissen es. Gott strafe diese Bestie Mensch.«
    »Du warst also – arbeiten, als jemand dem Kind den Fuß verstümmelte?«
    »Ja.«
    »Du bist also eine Hure?«
    »Ich habe Hunger.«
    »Du bist nach Hause gekommen, und das Kind lag ohne Zehen auf dem Bett?«
    »So war es.«
    »Wie kommt es dann, daß die Stümpfe verbunden waren? Mit Fetzen aus einem Hemd, das Tawan gehört?«
    »Ja, das stimmt. Es war mein Hemd, mein bestes.« Tawan nickte. Er hatte nichts zu verbergen oder zu leugnen. »Den ganzen Rücken hat man in kleinen Stücken herausgerissen.«
    »Hast du ein noch intaktes Hirn?« fragte der Polizist und stieß wieder mit dem Zeigefinger nach Tawan.
    »Ich glaube doch.«
    »Dann denk einmal nach. Da ist einer, der schneidet einem kleinen Kind die Zehen ab, warum, das weiß nur er, und dann nimmt er sich die Zeit und verbindet jeden Stumpf mit einem Fetzen von einem zerrissenen Hemd! Und das Kind schreit nicht dabei, es bleibt völlig stumm, denn sonst hätten es die Nachbarn sofort gehört. Ist das nicht merkwürdig?«
    »Das ist es, aber es war so.« Tawan hob die Schultern. »Wir werden es nie erfahren.«
    »Mutter Teresa hat lange darüber nachgedacht. Sie meint, nicht ein Mann habe Vinja die Zehen abgeschnitten, denn ein Mann hätte kein Mitleid gehabt – es muß eine Frau gewesen sein, die nach der Tat den Fuß verbunden hat, um das Kind nicht verbluten zu lassen.«
    »Warum eine Frau?« schrie Baksa plötzlich auf. »Eine Frau kann so etwas nicht. Eine Frau kann nie ein Kind verstümmeln! Warum all diese Fragen? Ich will meine Tochter sehen, ich will sie mitnehmen – wer der Täter ist, erkennt man ihn an Fragen? Ein verkrüppeltes Kind habe ich jetzt – wachsen die Zehen nach, wenn man fragt und fragt und fragt?«
    »Ein verstümmeltes Mädchen erzeugt Mitleid«, sagte der Polizist und sah dabei Baksa durchdringend an. »Und Mitleid bringt Geld.«
    Baksa erkannte die Gefahr, die jetzt auf sie zukam. Sie rettete sich, indem sie sich zu der an der Tür stehenden Schwester herumwarf und beide Arme ausstreckte. Dabei schrie sie mit schriller Stimme: »Ich will mein Kind! Warum gibt man mir nicht mein Kind? Vinja, wo bist du? Wo ist mein Kind?«
    Der Polizist erhob sich von seinem Stuhl, zuckte resignierend die Schultern und verließ den Raum. Genau, wie ich es Mutter Teresa
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