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Der verkaufte Patient

Titel: Der verkaufte Patient
Autoren: Renate Hartwig
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Ärgernis sind wie überzogene Managergehälter, so verdienen heute die meisten Ärzte mehr schlecht als recht. Junge Klinikärzte werden derzeit so schlecht honoriert, dass man damit kaum eine Familie gründen kann. Gegängelt von der Gesundheitsbürokratie, um die gerechte Honorierung ihrer Arbeit betrogen, haben viele Ärzte kaum mehr genug Erträge, um ihren laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Hausärzte, deren einzige Alterssicherung oft in der Praxis steckt, stehen vielfach vordem Nichts, weil kein junger Arzt ihnen ihre Praxis abkaufen will. Dazu der Arzt Wolfgang Bosch: »Der Arzt soll … nur für sein Helfersyndrom leben; er soll das Gesundheitswesen einschließlich der Bürokratie am Laufen halten und die Verwaltung der Krankenkassen unterstützen.«
    Im deutschen Gesundheitswesen, einem der teuersten der Welt, ist ausgerechnet für die beiden Urfaktoren der heilenden Beziehung, für Patienten und Ärzte (nehmen wir Schwestern, Pfleger und Therapeuten gleich hinzu), kein Geld mehr da. In einem raffinierten System wird dem zahlenden Bürger, der sich als Patient im Wartezimmer wiederfindet, eine Eigenleistung nach der anderen aufgebrummt. Ärzte, Schwestern, Pfleger und Therapeuten sollen die Seiten wechseln. Nicht mehr auf Seiten des Patienten sollen sie stehen und als seine Helfer, Anwälte und Vertrauensleute agieren. Die medizinische Zukunft sieht sie als Agenten renditeorientierter Unternehmen vor; in ihrem Dienst sollen sie dem »Kunden« das Geld aus der Tasche ziehen.
    Im Rahmen der heilenden Urbeziehung Arzt-Patient gab es schon immer eine Fülle nachgeordneter Instanzen und Institutionen, die für die Gesundheit da waren und von der Gesundheit lebten. Mittlerweile ist der Abstand zwischen Arzt und Patient größer geworden. In dieser Lücke hat sich im Laufe der Jahre ein gigantischer Kosmos an Dienstleistern, Vermittlern, Helfern und Produzenten breitgemacht, wofür wir die Namen »Gesundheitswesen« oder »Gesundheitssystem« erfunden haben: Megabürokratien von Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, eine Fülle von Pflege-, Service- und Rehabilitationseinrichtungen, Labors und Instituten, Kliniken jeder Größe und Spezialisierung, Zulieferer und vor allem eine gewaltige Pharmaindustrie – ein Kosmos aus lauter hilfreichen und notwendigen Einrichtungen.
    Letztlich lebt das alles vom Kapital der Patienten-Arzt-Beziehung, dem Vertrauen. Ganz am Ende soll der Patient sagen: »Ich habe das Vertrauen, dass es alle diese Dinge nurzu dem Zweck gibt, damit ich gesund werde.
Ich bezahle das schließlich!«
Ob 220 Krankenkassen mit 220 Krankenkassengeschäftsführern und 220 Apparate mit gewiss mehr als 220 Angestellten, die sich mit 220 teuren Werbestrategien gegenseitig auch noch die letzten 220 »Kunden« abspenstig machen, »gesund« sind, steht dahin. Aber es kostet genau das Geld, das wir für die Erhaltung unserer Gesundheit brauchen.
Der Fehler im System
     
    Leider hat das Gesundheitssystem der Zukunft, das der zunehmenden Auslieferung des staatlichen Gesundheitsauftrags an den Markt, einen Systemfehler: Weil der Markt der Markt und nicht die Caritas ist, kann es dort nicht um Gesundheit als letztes Ziel gehen. Wirtschaftsunternehmen wollen »mit Gesundheit« Geld verdienen. Sie haben kein Mitleid und keinen sozialen Auftrag. Sie investieren in das System, um daran zu verdienen. Wenn anstelle der ärztlichen Hinwendung zum leidenden Menschen die Logik einer Kaufbeziehung zwischen einem Gesundheitsanbieter und einem Kunden tritt, wenn der Arzt nur noch der operative Agent eines Unternehmens ist, das verkaufen will, dann ist das ganze Kapital der heilenden Beziehung, das Vertrauen nämlich, zerstört. Schon lange sind Patienten misstrauisch gegenüber dem allgegenwärtigen »Maschinenpark« in den Praxen – da kommt man nämlich nicht mehr heraus, ohne seinen ganz persönlichen, zeitraubenden Beitrag zur Rundumauslastung des Maschinenparks geleistet zu haben. Wenn das nun Schule macht, wenn sich jeder beim Arztbesuch fragen muss: »Ist das nun wirklich indiziert, oder muss er nur die Steigerungsraten seines Unternehmens mit der Verordnung einiger zusätzlicher Medizinalspielchen erfüllen?« – dann stirbt das Vertrauen.
    So begann mein intensives Nachdenken über die Logik derneuen »Gesundmacher«. Geht es ihnen um den kranken Menschen, oder geht es um die maximale Plünderung zahlungsfähiger Kranker, ja genau genommen sogar um die Plünderung zahlungsfähiger
Gesunder
. Bin ich
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