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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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den offenbar gar nicht so ungewöhnlichen Vorfall eine Virusinfektion verantwortlich gemacht. Sie habe bei Rasmus Kollin und seiner Ehefrau Alisa Kollin, geborene Jumsuren, den Herzmuskel geschädigt, hieß es im Obduktionsbericht. Vermutlich hätten sich die beiden gegenseitig infiziert. Sophia hatte sich nie mit dieser Erklärung abfinden können.
    »Du kommst mir etwas angespannt vor«, bemerkte Sibelius.
    Sie ballte im Schoß die Fäuste, bis sie in den Handballen den Schmerz spürte, den die sauber gefeilten Fingernägel verursachten. »Ich mag nur keine Vollstrecker.«
    » Testaments vollstrecker«, stellte der Notar klar. Er blätterte geschäftig in seiner Akte herum und brummte: »Sei unbesorgt, du wirst diesen Raum nicht ärmer verlassen, als du ihn betreten hast. Wir bringen diese Formalie so zügig wie möglich hinter uns, sobald ich … Ah! Hier haben wir ihn ja, den letzten Willen von Ole Kollin! Sagte ich schon, dass er der Vater deines Vaters war?«
    Sophias Antwort bestand in einem verhaltenen Stöhnen.
    »Nun ja, er war also dein Opa väterlicherseits«, bekräftigte Sibelius. Sein Finger folgte einer Zeile im Kopf der vor ihm liegenden Urkunde. »Geboren am 14. September 1924 in Helsinki als Sohn des Uhrmachers und Goldschmieds Jesse Kollin und seiner Ehefrau Nelli Kollin, geborene Lauren. Hier in Berlin hat er unter dem Namen Otto Konrad gelebt. Ich habe für deinen Großvater im Laufe der Jahre verschiedene Dinge aufbewahrt und ihn geschätzt. Warum ein Finne allerdings mit falscher Identität in eine fremde Stadt zieht, das hat er mir nie gesagt. Er meinte nur, er sei kein flüchtiger Bankräuber oder sonstiger Krimineller.«
    Sophia spürte ein Kribbeln im Nacken. Seltsam, dass dieser geheimnistuerische Opa Ole fast dieselben Worte benutzt hatte wie ihr Vater. »Gibt es noch andere Verwandte außer mir?«
    »Du meinst, andere Erben? Nein. Er hat alles dir vermacht.«
    So hatte Sophia ihre Frage eigentlich nicht gemeint. Sie zog die Stirn kraus. »Warum mir? Er kannte mich doch nicht einmal.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher. Er zeigte mir mal ein Foto von dir als Baby. Ich glaube, er hat an deinem Leben aus der Entfernung Anteil genommen.«
    »Wieso?«
    »Das müsstest du besser wissen als ich. Vielleicht lag es an den Differenzen, die er mit seinem Sohn, deinem Vater, hatte.«
    »Davon hat er Ihnen auch erzählt?«
    »Nur andeutungsweise.« Sibelius sah beirrt in seine Akte. »Wo war ich stehen geblieben?«
    »Bei der Erbschaft.«
    »Richtig! Ich glaube, deshalb sitzen wir beide hier.« Er brachte ein verunglücktes Lächeln zustande, drehte rasch seinen mons trösen Sessel zur Seite und beugte sich weit vor. Dabei verschwand sein Kopf hinter der Schreibtischkante. Er begann zu ächzen wie ein Gewichtheber. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er einen grauen Pappkarton in den Händen, der den Dimensionen nach ein Paar Skischuhe hätte enthalten können. Sibelius entfernte ein Siegelband, und während er den Deckel abnahm, sagte er: »Um es gleich vorwegzunehmen: Ole Kollin hat zuletzt in bescheidenen Verhältnissen gelebt. Sein Vermögen war so gut wie aufgezehrt, abgesehen von …«
    »Warum sagen Sie das?«, entfuhr es Sophia. Sie fühlte sich plötzlich verletzt, so als habe der Notar sie eine Erbschleicherin genannt. Im nächsten Moment schämte sie sich für ihre Unbeherrschtheit. »Es wäre mir lieber, ich müsste nicht andauernd jemanden aus meiner Familie beerben«, sagte sie zu ihrer Entschuldigung. Offenbar hatte der Brief des Testamentsvollstreckers ihre seelische Stabilisierung während der vergangenen zwei Jahre im Nu wieder zunichtegemacht. Seitdem glaubte sie, Gevatter Tod sei zu ihrem ständigen Begleiter geworden.
    »Ist schon gut, Kind«, beruhigte sie Sibelius. »Ich wollte nur keine allzu großen Erwartungen wecken. Mir ist durchaus bewusst, dass deine Eltern dich alles andere als mittellos hinterlassen haben. Welches Mädchen in deinem Alter besitzt schon eine florierende internationale Juwelierladenkette? Und die Marke R. K. ist in der Schmuckbranche nach wie vor ein Synonym für noble Eleganz. Die Initialen deines Vaters schmücken übrigens auch meine Armbanduhr.« Zum Beweis entblößte er sein linkes Handgelenk.
    Sophia würdigte das goldblitzende Kleinod mit einem kleinen Nicken. »Abgesehen von was?«
    Er blinzelte irritiert. »Wie bitte?«
    »Sie sagten eben, das Vermögen meines Opas sei so gut wie aufgezehrt gewesen, abgesehen von …?«
    Sibelius reckte
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