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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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Großvater nach dem Rechten – mit seinen sechsundachtzig war er ja nicht mehr der Jüngste. Als man ihn fand, standen sämtliche Uhren still. Merkwürdig, nicht wahr? So seltsam wie vieles im Leben von Ole Kollin. Jedenfalls wurde sein Leichnam gerichtsmedizinisch untersucht, weil die Kripo einen Tod durch Fremdeinwirkung nicht ausschließen konnte. Dabei stellte man fest, dass die Netzhaut deines Großvaters Verbrennungen aufwies, so als hätte er zu lange in die Sonne geblickt.«
    Sophia war in den letzten Sekunden eiskalt geworden. »Daran stirbt man doch nicht.«
    Sibelius schüttelte den Kopf. »Nein, daran stirbt man nicht. Der ermittelnde Kommissar hat mir den Obduktionsbericht gezeigt. Darin heißt es, das Herz deines Großvaters sei einfach stehen geblieben. Wie bei einer Uhr, deren Pendel angehalten wird.«

2
    D as Hausin der Bergstraße Nummer 70 war mindestens schon hundert Jahre alt. Sophia stand auf dem Kopfsteinpflaster des Trottoirs, den unscheinbaren Karton mit ihrer Millionenerbschaft unter dem Arm, und sah an der hübsch renovierten Fassade empor. Von einem Fries über der Tür blickten mehrere Gesichter zurück. Ob sie Engel oder Dämonen darstellten, hätte sie nicht sagen können. Schwungvoll stemmte sie sich gegen den rechten der beiden Türflügel und verschaffte sich dadurch Zugang zu einer dämmrigen Durchfahrt. Jenseits des Zwielichts sah sie einen Innenhof. Von dort kam ein junger Mann auf sie zu. Er schleppte ein ungerahmtes Ölgemälde – die Leinwand war nur auf einem Holzgestell aufgeblockt. Sophia lief ihm entgegen. Am Ende der Passage trafen beide zusammen.
    »Hallo«, sagte sie. »Ich hätte eine Frage.«
    »Klar. Frag mal«, antwortete er und blieb stehen. Sie schätzte ihn auf Anfang oder Mitte zwanzig. Er trug ein Leinenhemd über den zerschlissenen schwarzen Jeans, war etwas untersetzt, hatte strubbeliges rotblondes Haar und wirkte auch sonst so unkonventionell, dass sie auf das förmliche Sie verzichtete.
    »Ist das Bild von dir?« Das war ihr spontan in den Sinn gekommen. Sie deutete auf das Gemälde. Es zeigte ein Einhorn in einem Wald mit mächtigen Bäumen.
    »Ja.« Er lächelte. »Kunstliebhaberin?«
    »Irgendwie schon.«
    »Dann ist in dem Karton da wohl deine Sammlung.« Er deutete mit dem Kinn auf ihre Erbschaft.
    »Nicht direkt. Mein Fach ist das Theater. Ich suche die Wohnung von Ole Kollin. Hast du eine Ahnung, wo ich sie finde?«
    Er schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf. »Nee. Sagt mir überhaupt nichts.«
    »Er war Uhrmacher und ist vor Kurzem gestorben.« Mit einem Mal fiel ihr ein, was der Notar über die neue Identität ihres Großvaters gesagt hatte. »Kann sein, dass er hier unter seinem … Künstlernamen gelebt hat. Otto Dingsbums  – er fällt mir bestimmt gleich wieder ein …«
    »Du meinst Otto Konrad?«
    »Ja, genau!«
    »Und du bist …?«
    »Sophia Kollin. Seine Enkelin zu Besuch aus der Schweiz.« Sie zückte den Wohnungsschlüssel, den ihr der Notar überlassen hatte, hielt ihn neben ihr Gesicht und lächelte dazu, wie es ihrer Ansicht nach nur arglose Mädchen tun konnten.
    Der junge Mann klemmte sich das Bild unter die linke Achsel und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Oliver Pollock. Tut mir leid, das mit deinem Großvater. Ich war selbst geschockt, als mir Frau Waczlawiak von seinem Tod erzählte.«
    »Dann hast du meinen Opa gekannt?«
    »Ja. Wie sich gute Nachbarn eben kennen. Seit ich bei meinen Eltern aus- und auf die andere Straßenseite in unsere frühere Wohnung eingezogen bin, haben er und ich uns fast täglich gesehen. Manchmal hat er mich auf einen Kaffee eingeladen. Ich durfte sogar Otto zu ihm sagen. Er war schon etwas wacklig auf den Beinen, aber geistig noch auf Zack.«
    Sophia hielt nochmals den Schlüssel hoch. »Den habe ich geerbt. Wo finde ich das passende Schloss dazu?«
    »Otto hat in der Wohnung unter mir gewohnt: drittes Hinterhaus, rechter Aufgang, dritter Stock, rechte Tür.«
    »Danke.« Sie zeigte auf das Gemälde. »Willst du das verkaufen?«
    »Wieso? Bist du interessiert?«
    »Vielleicht.«
    »Nee, lass mal. Ich bring’s nur zu Jessica. Das ist meine Schwester. Als Leihgabe, weil’s in meiner Bude allmählich zu eng für meine ganzen Bilder wird. Noch kann ich mich nicht davon trennen. Hängen zu viele Erinnerungen dran. Also, man sieht sich.« Er hob die Hand zum Abschied und schleppte sein Kunstwerk weiter in Richtung Straße.
    Kurz darauf hatte Sophia das Haus am Ende des zweiten
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