Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
zwei Herzschläge lang hatte sich Oros mit der eigenen Hand die Sicht genommen. Nun zog er sich die Maske herunter. Aber das blendende Licht traf nicht die beiden Menschen, weil sich plötzlich eine Gliederpuppe mit spiegelblanker Brust vor sie stellte.
    Andora.
    Sie hatte es sich anders überlegt. Oder war ihre Treue nie ins Wanken geraten? Auf diesen Tag hatte sie ja gewartet, für diesen Moment ihren Körper so emsig poliert. Und jetzt blendete das eigene Strahlen den völlig verblüfften Herrn der Zeit.
    Ein gellender Schrei hallte durch den Raum.
    Oros erstarrte. Der Glanz aus seinen Augen hatte ihn offenbar gebannt. Oder raubte ihm Theos unnachgiebiger Wille die Kraft, sich abzuwenden?
    Jedenfalls wollte der markerschütternde Schrei gar kein Ende nehmen. Er übertönte selbst die laute Sphärenmusik. Auch Sophia war wie gelähmt. Obwohl sie nur den Widerschein von Andoras Brust auf dem Greisengesicht sah, konnte sie das helle Licht kaum ertragen. Trotzdem brachte sie es nicht einmal fertig, die Augen zu schließen. Plötzlich sah sie etwas durch die Luft fliegen.
    Medusa hatte ihren Giftspritzer einfach ins Licht gelenkt und sie traf genau die Brust der mutigen Gliederpuppe. Von Andora war nur noch ein Zischen zu hören, dann zerfiel sie in ihre Einzelteile.
    Nein! , schrien Sophias Gedanken, ihre Stimme versagte vor Entsetzen.
    Oros war zu Boden gefallen und eine Flammenzunge schoss senkrecht aus seinem Leib empor.
    Die Überraschung war bei allen so groß, dass die kämpfenden Parteien in der Kammer der Sieben Goldenen Sphären einen Moment innehielten.
    Mit einem Mal hob sich der Kopf des gefallenen Greises. Es war gespenstisch. Sein Gesicht reckte sich Theo entgegen. Die Augen darin waren leer gebrannt. »Morvi«, keuchte er. Seine kratzende Stimme klang nicht mehr gebieterisch, sondern nur noch müde und alt.
    »Meister!«, hauchte Theo bewegt. Sophia konnte das Wort nur von seinen Lippen ablesen, da nach wie vor die Sphärenmusik alle leisen Geräusche übertönte. Mit einem Mal fühlte sie sich von Theo mitgezogen, hin zu dem Alten, der ihnen gerade noch das Augenlicht und den Verstand hatte rauben wollen. Sie musste sich sogar zu ihm hinknien, weil Theo sie nicht loslassen wollte.
    »Nicht so nah!«, raunte sie ihm ins Ohr.
    Er schien sie nicht einmal zu hören. »Ich bin hier, Meister Poseidonios.«
    Der Greis tastete nach dem Gesicht seines Schülers.
    Sophia stockte der Atem. Sie hatte die Mahnung ihres Großvaters nicht vergessen. Alles, was er anfasst, ist ihm zu Willen. Männer, Frauen und Kinder werden zu seelenlosen Maschinen, sobald er sie nur mit den Händen berührt. Wenn diese zitternde Hand nur eine Hinterlist war …
    »Du hast … gut daran getan, dich nicht von Oros verführen zu lassen, so wie ich«, sagte Poseidonios mit brüchiger Stimme. Offenkundig sprach da doch ein anderer als der Stundenwächter. Seine verkohlten Augen schienen mit einem Mal etwas zu suchen. »Sophia? Bist du auch da?«
    Sie schnappte vor Schreck nach Luft.
    »Also ja«, sagte er mit mildem Lächeln und noch leiser als zuvor. Wie hatte er das hören können? »Es tut … tut mir so leid, Sophia, wozu Oros mich missbraucht hat. Ich sollte dich töten. Stattdessen sind deine Eltern gestorben …«
    »Mi-mich …?« Ihre Kehle schnürte sich zu. Trotz der Angst beugte sie sich weiter zu Poseidonios herab, um ihn besser zu verstehen.
    Er nickte leicht. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. »Weil … er dich im Irrgarten der Zeit gesehen hat. In der … Zukunft . Wie du Theo befreist und ihr zusammen den Kampf gegen ihn aufnehmt. Er … wollte die Bedrohung mit Stumpf und Stiel ausmerzen …«
    »Aber«, unterbrach sie den Alten aufgeregt, »aber warum hat er sich dann damit begnügt, Mama und Papa zu ermorden?«
    Poseidonios schloss die leeren Augen, was ihm ein fast friedliches Aussehen verlieh. Er musste erst Kraft sammeln, ehe er antworten konnte. »Dich so kurz nach ihrem Tod umzubringen, hätte Verdacht erregt. Er ist immer … immer darauf bedacht gewesen, im Verborgenen zu bleiben. Außerdem spürte er, dass du noch ahnungslos warst, was … die Geheimnisse der Weltenuhr betrifft. Er glaubte, wenn die Wurzel abgetötet ist, muss auch der Spross verdorren. Deshalb konzentrierte er sich nach dem Mord an deinen Eltern auf Ole und Lotta Kollin … Was sich als dein Glück erwies. Sie hatten sich gut … versteckt und …« Der Alte verstummte.
    »Meister!«, rief Theo aufgeregt. »Ihr müsst Euch schonen. Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher