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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort
Autoren: Fred Vargas
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beschwingt, sein weicher Körper straffte sich, seine hängenden Schultern nahmen Form an, er gewann an Auftreten und Statur, was ihn beinahe zu einem bemerkenswerten Menschen machte. Vielleicht nährte er den Gedanken, eines Tages seinen Ruhestand gemeinsam mit diesem neuen Freund zu genießen, beim Angeln an jenem See da oben.
    Radstock nutzte Danglards Gutwilligkeit, um ihm in allen Einzelheiten sein Leben beim Yard zu erzählen wie auch eine Menge schlüpfriger Anekdoten, von denen er meinte, dass sie französischen Gästen gefallen würden. Danglard hatte ihm während des ganzen Mittagessens mit großer Geduld zugehört und zugleich die Qualität des Weins im Auge behalten. Radstock nannte den Commandant »Denglarde«, und sie überboten sich gegenseitig in Geschichten und versorgten sich mit Getränken, Adamsberg im Schlepptau hinter sich lassend. Der Kommissar war der Einzige unter den hundert Bullen, der nicht einmal Rudimente der Sprache beherrschte. Er wohnte der Veranstaltung mehr am Rande bei, wie er auch gehofft hatte, und nur wenige Leute hatten überhaupt verstanden, wer er wirklich war. An seiner Seite sah man den jungen Brigadier Estalère mit seinen von chronischem Erstaunen immer weit aufgerissenen grünen Augen. Es war Adamsbergs Wunsch gewesen, ihn mit auf diese Reise zu nehmen. Er hatte gemeint, der Fall Estalère werde sich schon noch arrangieren, und von Zeit zu Zeit bemühte der junge Mann sich ja auch, dahin zu gelangen.
     
    Die Hände in den Taschen seines eleganten Anzugs, genoss Adamsberg in vollen Zügen diesen langen Spaziergang, auf dem Radstock von einer Straße in die andere ging, um ihnen die Kuriositäten des Londoner Nachtlebens vorzuführen. Hier eine Frau, die unter einem Dach aneinandergenähter Regenschirme schlief, einen teddy bear von über einem Meter Größe im Arm. »Einen Plüschbären«, übersetzte Danglard.
    »Das hatte ich verstanden«, sagte Adamsberg.
    »Und dort«, Radstock wies in eine rechtwinklig abzweigende Avenue, »sehen Sie Lord Clyde-Fox. Einen Vertreter jener Spezies, die man bei Ihnen den exzentrischen Aristokraten nennt. Offen gesagt, wir haben nicht mehr allzu viele von ihnen, sie reproduzieren sich kaum. Der hier ist noch jung.«
    Radstock blieb stehen, um ihnen Zeit zu lassen, den Mann zu betrachten, und er tat es mit der Befriedigung eines Menschen, der seinen Gästen ein seltenes Stück zeigt. Adamsberg und Danglard betrachteten ihn folgsam. Groß und hager, tanzte Clyde-Fox mal auf dem einen, mal auf dem anderen Bein unbeholfen auf der Stelle, immer kurz vor dem Umfallen. Zehn Schritt von ihm entfernt stand schwankend ein anderer Mann, eine Zigarre im Mund, der die Bemühungen seines Gefährten beobachtete.
    »Interessant«, sagte Danglard höflich.
    »Er treibt sich oft hier in der Gegend herum, wenn auch nicht jeden Abend«, meinte Radstock, so als würden seine Kollegen einen echten Glücksfall erleben. »Wir schätzen einander. Herzlich, hat immer ein freundliches Wort. Er ist ein Orientierungspunkt in der Nacht, ein vertrautes Licht. Zu dieser Stunde kommt er von seinem Streifzug zurück und versucht nach Hause zu gehen.«
    »Betrunken?«, fragte Danglard.
    »Nie ganz. Er setzt seine Ehre darein, bis an seine Grenzen zu gehen, sämtliche Grenzen, und sich dort festzuklammern. Er behauptet, wenn er sich auf einem Grat bewege, in der Balance zwischen einem Abgrund und dem anderen, sei er zwar sicher, zu leiden, aber nie sich zu langweilen. Alles in Ordnung, Clyde-Fox?«
    »Alles in Ordnung, Radstock?«, erwiderte der Mann und wedelte mit der Hand.
    »Amüsant«, meinte der Superintendent. »Zumindest in seinen guten Momenten. Als vor zwei Jahren seine Mutter starb, hat er eine ganze Schachtel Fotos von ihr aufessen wollen. Seine Schwester ging ziemlich brutal dazwischen, und die Sache endete böse. Eine Nacht im Krankenhaus für sie, eine Nacht auf der Polizeiwache für ihn. Der Lord raste vor Zorn, dass man ihn daran hinderte, die Fotos zu verschlingen.«
    »Er wollte sie wirklich essen?«, fragte Estalère.
    »In der Tat. Aber ein paar Fotos, was ist das schon? Es heißt, bei Ihnen hat einer mal einen hölzernen Schrank essen wollen.«
    »Was sagt er?«, erkundigte sich Adamsberg, als er Radstock die Brauen runzeln sah.
    »Er sagt, bei uns habe einer seinen Schrank aufessen wollen. Was er übrigens in ein paar Monaten auch geschafft hat, mit zeitweiliger Unterstützung von zwei, drei Freunden.«
    »Und es ist eine wahre Begebenheit, nicht
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