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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort
Autoren: Fred Vargas
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seelisch gefasst. Es sind vielleicht zwanzig Stück, Sie können sie nicht verfehlen.«
    »Das ist nicht mein Job, Clyde-Fox.«
    »Und ob er das ist. Sie stehen sorgfältig dort aufgereiht, mit den Spitzen Richtung Friedhof, als wenn sie dort hineingehen wollten. Ich rede natürlich vom alten Hauptportal.«
    »Der alte Friedhof wird nachts bewacht. Geschlossen für Menschen wie für Schuhe von Menschen.«
    »Trotzdem wollen sie rein, und ihre ganze Haltung hat etwas sehr Unsympathisches. Sehen Sie sie sich an, tun Sie Ihren Job.«
    »Clyde-Fox, es ist mir ziemlich egal, ob Ihre alten Schuhe da hineinwollen.«
    »Da irren Sie, Radstock. Denn es sind noch die Füße drin.«
    Schweigen trat ein, eine unangenehme Druckwelle strich über sie hinweg. Aus Estalères Kehle kam ein kleiner Klagelaut, Danglard presste die Arme zusammen. Adamsberg hielt im Laufen inne und hob den Kopf.
    »Scheiße«, flüsterte Danglard.
    »Was sagt er?«
    »Er sagt, dass ein paar alte Schuhe in den alten Friedhof hineinwollen. Er sagt, Radstock irrt sich, wenn er meint, sich das nicht ansehen zu müssen, denn es seien noch die Füße drin.«
    »Schon gut, Denglarde«, fiel Radstock ihm ins Wort. »Er ist betrunken. Schon gut, Clyde-Fox, Sie sind betrunken. Gehen Sie jetzt nach Hause.«
    »Da sind die Füße drin, Radstock«, wiederholte der Lord in gesetztem Ton, wie um zu unterstreichen, dass er sicher auf seinem Grat stand. »Abgeschnitten auf Höhe der Knöchel. Und diese Füße wollen da rein.«
    »Okay, sie wollen da rein.«
    Lord Clyde-Fox kämmte sich jetzt mit aller Sorgfalt, ein Zeichen für seinen unmittelbar bevorstehenden Aufbruch. Dass er sein Problem jemandem anvertraut hatte, schien ihn ins normale Leben zurückgeholt zu haben.
    »Rechnen Sie mit ziemlich alten Schuhen«, fügte er hinzu, »fünfzehn oder zwanzig Jahre alt.«
    »Und die Füße?«, fragte Danglard diskret. »Die Füße sind in skelettiertem Zustand?«
    » Let down . Er ist betrunken, Denglarde.«
    »Nein«, sagte Clyde-Fox und steckte seinen Kamm ein, ohne den Superintendent zu beachten. »Die Füße sind nahezu unversehrt.«
    »Und sie versuchen hineinzukommen«, vollendete Radstock.
    »So ist es, old man .«

3
     
    Radstock schimpfte ohne Unterlass leise vor sich hin, die Hände um das Steuer geklammert, während er sie schnell zu dem alten Friedhof in der nördlichen Vorstadt von London fuhr.
    Mussten sie auch diesen Clyde-Fox treffen. Musste dieser Beknackte auch nachprüfen wollen, ob sich wirklich kein Fuß in seine Schuhe geschlichen hatte. Und da rollten sie nun Richtung Highgate, weil der Lord von seinem Grat gefallen war und eine Vision gehabt hatte. Es würden ebenso wenig Schuhe vor dem Friedhof stehen, wie Füße in den Schuhen von Clyde-Fox gewesen waren.
    Doch Radstock wollte nicht allein dorthin. Nein, vor allem nicht wenige Monate vor seiner Pensionierung. Den liebenswürdigen Denglarde zu überzeugen, dass er ihn begleitete, hatte ihn einige Mühe gekostet, als wenn dem Commandant die Expedition widerstrebte. Aber wie hätte der Franzose das Geringste über Highgate wissen sollen? Mit Adamsberg dagegen gab es kein Problem, ihn störte der Umweg in keiner Weise. Dieser Kommissar schien sich in einem friedfertigen und verträglichen Dämmerzustand zu bewegen, man musste sich fragen, ob sein Metier überhaupt in irgendeiner Weise seine Aufmerksamkeit erregte. Ganz im Gegensatz dazu sein junger Kollege, der, die Nase am Fenster, mit großen Augen auf London starrte. Nach Radstocks Ansicht war dieser Estalère nahezu ein Dummkopf, und er wunderte sich, dass man ihn zu der Konferenz zugelassen hatte.
    »Warum schicken Sie nicht zwei von Ihren Leuten hin?«, fragte Danglard mit verdrossener Miene.
    »Ich kann nicht auf eine Vision von Clyde-Fox hin eine Mannschaft losschicken. Immerhin ist er ein Mensch, der die Fotos seiner Mutter essen wollte. Aber nachzusehen sind wir ja wohl verpflichtet, oder?«
    Nein, Danglard fühlte sich zu nichts verpflichtet. Er war glücklich, hier zu sein, glücklich, sich wie ein Engländer benehmen zu können, glücklich, dass eine Frau ihm Beachtung geschenkt hatte, gleich am ersten Tag des Kolloquiums. Er hoffte schon jahrelang nicht mehr auf dieses Wunder, und träge, wie er seit seinem fatalistischen Verzicht auf die Frauen geworden war, hatte er von sich aus nichts unternommen. Sie war es, die ihn angesprochen, die ihm zugelächelt hatte und immer wieder einen Vorwand fand, ihm zu begegnen. Falls er sich nicht
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