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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort
Autoren: Fred Vargas
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nicht in deinen Schädel rein, dass ich zum Zug muss?«
    »Wir müssen die Mutter beruhigen.«
    Adamsberg war die Katze egal, nicht aber der schwarze Blick, den der Alte ihm zuwarf. So streichelte er den – unglaublich weichen – Kopf der Katze, denn in der Tat, er hatte keine Wahl. Das Hecheln des Tieres kam zur Ruhe, während Adamsbergs Finger wie Kugeln von seinem Mäulchen zu seinen Ohren rollten. Lucio wiegte anerkennend den Kopf.
    »Sie schläft, hombre .«
    Adamsberg löste langsam seine Hand, wischte sie im feuchten Gras ab und entfernte sich im Rückwärtsgang.
     
    Während er über den Bahnsteig der Gare du Nord lief, fühlte er, wie das Zeug zwischen seinen Fingern und unter den Nägeln hart wurde. Er hatte zwanzig Minuten Verspätung, Danglard kam mit eiligen Schritten auf ihn zu. Man hatte immer den Eindruck, dass Danglards Beine, die schlecht konstruiert waren, von den Knien abwärts in ihre Einzelteile zerfallen würden, wenn er zu rennen versuchte.
    Adamsberg hob die Hand, um seiner Eile wie auch seinen Vorwürfen Einhalt zu gebieten.
    »Ich weiß«, sagte er. »Etwas hat meinen Weg gekreuzt, und ich musste zufassen, sonst hätte ich mich mein Leben lang kratzen müssen.«
    Danglard war an Adamsbergs unverständliche Bemerkungen schon so gewöhnt, dass er sich selten die Mühe machte, Fragen zu stellen. Wie viele andere in der Brigade beachtete er sie kaum noch, wusste er doch zwischen Interessantem und Unwichtigem zu unterscheiden. Außer Atem wies er auf die Abfertigungshalle und machte kehrt. Während Adamsberg ihm in aller Gelassenheit folgte, versuchte er sich an die Farbe der Katze zu erinnern. Weiß mit grauen Flecken? Mit roten Flecken?

2
     
    »Auch bei Ihnen passieren ja merkwürdige Dinge«, sagte Superintendent Radstock auf Englisch zu seinen Pariser Kollegen.
    »Was sagt er?«, fragte Adamsberg.
    »Dass auch bei uns merkwürdige Dinge passieren«, übersetzte Danglard.
    »Das stimmt«, sagte Adamsberg, ohne sich weiter für das Gespräch zu interessieren.
    Viel wichtiger war ihm im Augenblick, dass er laufen konnte. Er war in London, es war Juni, und es war Nacht, er wollte laufen. Diese zwei Tage Kolloquium begannen an seinen Nerven zu zerren. Stundenlang sitzen zu müssen war eine der wenigen Prüfungen, die sein Phlegma brechen, ihn in den seltsamen Zustand versetzen konnten, den die anderen »Ungeduld« oder »Hektik« nannten und der ihm normalerweise unerreichbar war. Am Tage zuvor war es ihm drei Mal gelungen, sich davonzustehlen, er hatte einen summarischen Spaziergang durch das Viertel gemacht, hatte sich Häuserfluchten mit ihren Klinkerfassaden eingeprägt, den Ausblick auf Reihen weißer Säulen und schwarz-goldener Laternen gespeichert, er war ein Stück durch ein Gässchen namens St. John’s Mews gelaufen, weiß Gott, wie man so was wie »Mews« aussprechen sollte. Dort war ein Schwarm Möwen englisch schreiend aufgeflogen. Doch seine Abwesenheiten waren bemerkt worden. Heute hatte er in seinem Sessel ausharren müssen, hatte störrisch geschwiegen zu den Diskussionsbeiträgen seiner Kollegen, unfähig, dem schnellen Rhythmus des Dolmetschers zu folgen. Die hall war gesättigt mit Polizisten, die sich mit großem Einfallsreichtum der Aufgabe widmeten, das Netz enger zu ziehen, durch welches »der Strom der Migranten harmonisiert« und Europa mit einem unüberwindlichen Gatter umzäunt werden sollte. Da Adamsberg jedoch dem Festen stets das Flüssige, dem Statischen das Geschmeidige vorgezogen hatte, folgte er naturgemäß den Bewegungen dieses Stroms und suchte mit ihm nach Möglichkeiten, wie die Befestigungsanlagen, die unter seinen Augen hochwuchsen, zu überwinden wären.
    Radstock, dieser Kollege von New Scotland Yard, schien sehr beschlagen in Netzen, wiederum aber nicht besessen genug von der Frage ihrer Effektivität. Er wollte in knapp einem Jahr in Rente gehen, mit der sehr britischen Vorstellung, dann an irgendeinem See im Norden angeln zu gehen, so berichtete Danglard, der alles verstand und alles übersetzte, auch das, was Adamsberg gar nicht wissen wollte. Adamsberg wäre es lieber gewesen, wenn sein Stellvertreter mit seinen unnützen Übersetzungen etwas sparsamer umginge, aber Danglards Freuden waren so selten, und er schien so froh zu sein, sich in der englischen Sprache zu sielen wie das Wildschwein in einem Schlamm von besonderer Qualität, dass Adamsberg ihm kein Gran seiner Zufriedenheit nehmen wollte. Danglard wirkte glücklich hier, fast
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