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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss
Autoren: Laini Taylor
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den Rücken zu. Sie hörte ihn flüstern, spürte eine leise Bewegung im Nacken und dann plötzlich wieder das Gewicht ihres Haars, so unvermittelt, dass es ihren Kopf nach unten zog, wie eine Waagschale auf dem Markt, in die Äpfel gelegt werden. Sie griff danach, und ihr Zopf war wieder da, als wäre er niemals abgeschnitten worden. »Ich hatte fast vergessen, wie schwer er ist«, sagte sie und wunderte sich nicht im Geringsten über dieses kleine Geschenk der Magie.
    Erst kürzlich hatte man ihr gesagt, dass sie Hunderte von Jahren leben würde. Von nun an würde es schwierig sein, sie zum Staunen zu bringen.
    »Machst du den meiner Mutter auch wieder fest?«, fragte sie.
    Mihai schüttelte den Kopf und ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. »Sie möchte nicht von mir berührt werden«, erklärte er.
    Esmé schwieg und betrachtete ihn. Ihr wurde klar, dass sie ihn immer noch durch die Erinnerungen der Druj-Königin sah. Sie erinnerte sich an den frostigen Kuss, als hätten ihre eigenen Lippen die seinen berührt, und auch an andere Dinge, die wesentlich unangenehmer waren, wie zum Beispiel das Gefühl, in die Seele ihrer Mutter einzudringen. Yazad half ihr dabei, diese Erinnerungen loszuwerden. Hypnose, hatte er gesagt, einen Kristall an einer Silberkette in die Höhe gehalten und augenzwinkernd gelächelt. Bei ihm wirkte immer alles wie ein großes Abenteuer.
    »Nun, danke«, sagte sie und strich mit den Fingern über den Zopf, der jetzt über ihre Schulter hing.
    »Gern geschehen«, antwortete Mihai. Er wandte sich zum Gehen.
    »Mihai?«, fragte Esmé.
    »Ja?«
    »Den anderen Druj mit ihren verstreuten Seelen«, sagte sie langsam. »Wirst … du … ihnen auch helfen?«
    »Ihnen helfen? Ich weiß nicht«, sagte er. Der Gedanke überwältigte ihn. In all den Zitadellen gab es Hunderte von Druj. Er wusste nicht, wie er ihnen helfen konnte. Mahzarin könnte es sicherlich, wenn sie jemals zu ihm käme und von ihm alles über Hathra lernte. Über diese Hoffnung hinaus konnte er sich nichts vorstellen. Wochen waren vergangen, und nun war die Angst vor dem, was sie mit ihm machen würde, vollkommen verflogen und durch die Angst ersetzt worden, sie würde nichts tun, sondern Tajbel einfach wieder aufbauen und dortbleiben und die Menschlichkeit ignorieren, die er ihr geschenkt hatte. Die Esmé ihr geschenkt hatte. Esmé wartete ebenso auf sie. Hathra war ein seltsames Ding: Esmé hasste die Druj-Königin vielleicht, weil sie ihrer Mutter Schreckliches angetan hatte, und trotzdem hinterließ ihre Abwesenheit ein Loch in ihrer Seele.
    Mihai berührte Esmé sanft auf dem Scheitel und ging hinaus. Er verließ Yazads Haus, wanderte durch die Stadt und roch die Dichte der Menschen um ihn herum, die sich überall drängten. Als er davon genug hatte, kletterte er wie eine Eidechse auf einen Kirchenturm und hockte sich dort hin. Der Himmel breitete sich rund um ihn aus.
    Und er wartete weiter.
    Mab und Esmé kehrten in ihre Wohnung zurück, in ihr nettes kleines Leben, obwohl es für sie niemals wieder werden würde wie früher. Mab betrachtete ihre geliebte Tochter wie eine Fremde. Der Gedanke, dass in Esmé die ganze Zeit, während sie sich in Sicherheit gewiegt hatte, ihre Peinigerin gewohnt hatte … Dieser Schock würde nicht so leicht vergehen. Die Schrecken ihrer Jugend waren aufs Neue enthüllt und durch Verrat noch verschlimmert worden. Dieser Verrat und der Schock bildeten nun Hintergrund und Bühne all ihrer Gedanken. Jeder andere Gedanke, den sie vielleicht fassen mochte, war nur ein Schauspieler auf der Durchreise; stets führte er seine Rolle auf der Bühne des Verrats auf. Wann immer ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf ging, verdrehte ihr Verstand ihn, und im nächsten Augenblick schnappte sie dann nach Luft, als habe man ihr die Faust in den Bauch gehauen.
    Yazad hatte ihr erklärt, dass Esmé und die Druj-Königin in einem Bund vereint waren, den Mab niemals verstehen würde, in einem Bund, der noch lange andauern würde, nachdem sie selbst gestorben wäre. Ihre Tochter und ihre Feindin teilten eine Seele, und eines Tages, so warnte er sie, würde Mahzarin kommen. Mab zuckte bei jedem Geräusch zusammen und fand vor lauter Albträumen kaum Schlaf. Sie beobachtete die Straße durch einen Schlitz in den Vorhängen und fürchtete diesen Tag, der jedoch nie kam. Nach und nach fanden die zwei zu einer Art normalem Leben zurück – eigentlich war ihr Leben jetzt normaler als je zuvor.
    Ihren Salzstreuer mit
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