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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss
Autoren: Laini Taylor
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Ort der Aasfresser und Geheimnisse.
    Der Mond schien auf die Knochen der Toten, und die Gläubigen entschieden, sie würden niemals sterben. Bei diesen schwarzhaarigen Männern und Frauen handelte es sich keinesfalls um einfache Gläubige, sondern um Zauberer, Theosophen und Gelehrte. Zu ihnen gehörte auch eine Frau mit einem Verstand, scharf wie eine Obsidianklinge, strahlend wie der Mond. Ihr enthüllten sich die Mysterien wie Blüten, deren Knospen sich öffneten, und ihr die stille Mitte zeigten. Geheimnisse offenbarten sich ihr aus den Sternen, und sie zog sie herab aus dem Himmel und formte sie zu einem neuen Glauben, der sie und ihre Jünger mit Macht belohnte. Und mit Unsterblichkeit.
    Aber der alte Gott wollte das nicht zulassen. Er riss ihnen ihre Seelen aus dem Leib, legte sie flach auf einen Felsen und ließ sie wählen zwischen dem, was er ihnen gegeben hatte, und dem, was sie sich selbst genommen hatten. Die Frau traf die Entscheidung.
    Sie wählte die Unsterblichkeit, und die anderen folgten ihr. Also verbrannte der Gott ihre Seelen zu Asche und verstreute sie im Wind. Er nannte sie Druj. Dämonen . Er hauchte einen Nebel in ihre Erinnerungen, nahm ihnen die Kinder weg, damit diese als Menschen alt werden und sterben könnten, und verbannte die Druj in die Berge, wo sie ihre unsterbliche Existenz in einer trostlosen Landschaft beginnen konnten, die ihre innere Leere widerspiegelte. Er erklärte ihnen, dass sie am Ende der Zeit, wenn Licht die ganze Welt verwandelte, vom Feuer geläutert würden. Falls sie bis dahin ihre verstreuten Seelen eingesammelt hätten, würden sie ebenfalls verwandelt. Falls nicht, würden sie bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. Und bis sie ihre Seelen gefunden hätten, so sagte er, würde Feuer ihr Fluch sein. Sogar an Asche würden sie sich verbrennen.
    All das erklärte er ihnen, doch der Nebel wehte durch ihre Gedanken, und sie vergaßen alles. Sie erinnerten sich nur noch an ihre Angst vor dem heiligen Feuer und vor der Asche, aber nicht mehr an den Grund dafür.
    Sie vergaßen ihr Menschsein, und sie vergaßen die Kinder, die man ihnen aus den Armen gerissen hatte. Sie vergaßen die Asche ihrer Seele, die sich wie Staub auf die Haut der Welt gelegt hatte.
    Jahrhunderte gingen ins Land. Sie lebten und lebten. Sie wurden ihrer Unsterblichkeit überdrüssig, aber sie erinnerten sich an nichts anderes. Eines Tages geschah etwas, das einen von ihnen dazu brachte, alles aufzudecken, was vergessen worden war.«
    Mihai hatte dreizehn Zyklen Hathra gebraucht, dreizehn Seelen hatten sich mit seinem Animus verwebt, bis er die Asche seiner Seele wieder in sich gesammelt und mit ihnen Stück um Stück sein Gedächtnis wiedererlangt hatte. Seine menschlichen Wirte waren stärker mit ihm verbunden als Familienangehörige. Sie waren ein neuer Stamm, der über die ganze Welt verstreut lebte, in London und Astrachan, in Jaffa und New York und anderen Orten. Und wie er selbst waren sie eine neue Schöpfung. Sie lebten jahrhundertelang und starben wie Menschen mit heilen Seelen. So wie auch Esmé.
    Während Mihai zuschaute, veränderten sich ihre Augen wieder. Das helle Blau wurde trüber und schließlich dunkler. Sie zuckte krampfhaft und stieß einen Schrei aus, der kein Ende nahm, bis sie heiser wurde, und dann lag sie still da und starrte mit glasigen – und braunen – Augen ins Leere. Mihai streichelte ihre Wange und flüsterte ihr ins Ohr. Kein magisches Flüstern, keine Druj-Worte, sondern ein englisches Wiegenlied.
    Und hinter ihm drehte die Königin der Druj langsam ihren Kopf.
    Mihai sah zu ihr auf. Ihre Blicke trafen sich. »Mihai«, flüsterte sie.
    »Mahzarin«, sagte er. »Meine Liebste.« Seine Stimme zitterte.
    Verwirrung breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ihr Blick schweifte zu Esmé, die Mihai noch immer in den Armen hielt. Als sie Mihai wieder ansah, stand Verwunderung in ihren Augen.
    Mihai erhob sich auf die Knie und legte Esmé behutsam auf dem Boden ab. »Meine Königin. Ich habe dir so viel zu erzählen«, sagte er und konnte die Angst in seiner Stimme hören.
    Sie war stets ein wilder Brunnen an Kraft gewesen, auch schon damals als seine Frau und als Mutter von Arzu und Lilya. Niemals hatte es eine mächtigere Zauberin als sie gegeben, ohne sie wäre diese Unsterblichkeit überhaupt nicht möglich gewesen. Die Druj wären nie entstanden. Mahzarin war die Gründerin von ihnen und hatte die Mysterien erst entschlüsselt. Sie hatte die neue Magie
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