Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss
Autoren: Laini Taylor
Vom Netzwerk:
lachte. »Vielleicht sollte ich doch lieber hierbleiben, nur für alle Fälle.«
    Er schenkte ihr sein schiefes Lächeln und sagte: »Nein. Geh lieber. Bitte. Es ist unglaublich uncool, sich dabei sehen zu lassen, wie man vor fetten Hunden Reißaus nimmt.«
    »Also gut. Bis dann, Jack Husk. Pass auf dich auf.«
    »Bis morgen, Kizzy«, antwortete er, und Kizzy fühlte sich für einen Augenblick so, als würde ihr Blut wie Champagner prickeln.

– DREI –
Reif wie eine Pflaume
    N achdem das Abendessen zubereitet und verspeist worden war – mit den üblichen fiesen Sprüchen und allem, was in dieser Familie eben zu einem richtigen Beisammensein dazugehörte –, ging Kizzy in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Sie setzte sich auf die Bettkante und betrachtete sich im Spiegel. Betrachtete sich richtig . Sie trug das grüne Tuch, und obwohl ihr Haar im Nacken wild und rau wie stets herauswallte, war es um ihr Gesicht herum gezähmt und verborgen und stand nicht hoch wie sonst. Dadurch trat ihr Gesicht hervor, und Kizzy starrte es minutenlang an. Sie beschlich so ein Gefühl − dass sich etwas verändert haben musste, seit sie sich das letzte Mal angeschaut hatte, falls sie das überhaupt schon einmal getan hatte.
    Sie sah stolze Wangenknochen, die plötzlich aus der Hülle einer Heranwachsenden hervortraten. Sie sah ein schüchternes Kräuseln dort, wo sich ihre Lippen trafen, die Lippen, die praktisch auf Umwegen Jack Husks Lippen berührt hatten. Sie starrte ihr Gesicht an und stellte sich vor, dass die äußere Schicht abgeschmolzen war, während sie gerade nicht aufgepasst hatte, und sich nun etwas anderes – ein neues Knochengerüst – durch das Weiche ihres gewohnten Anblicks hervorschob. So erfüllte sie mit einem Mal der Herzenswunsch, die wahre Gestalt möge schlank und strahlend zum Vorschein kommen, wie ein Stilett, das man aus einer unansehnlichen Scheide zieht. Wie ein Raubvogel, der seinen Kükenflaum verliert und erhaben durch den kalten Himmel zieht. Sie wünschte sich, dass sie sich in etwas Funkelndes, Überraschendes, Gefährliches verwandeln würde.
    Kizzy wollte eine Frau werden, die sich vom Bug eines Segelboots kopfüber ins Meer stürzte, eine Frau, die sich lachend ins Gewirr der Bettlaken zurücksinken ließ, die Tango tanzte und träge einen Leoparden mit dem Fuß streichelte. Eine Frau, deren Blick das Blut eines Feindes erstarren lassen konnte und die Versprechungen machte, die sie auf gar keinen Fall halten konnte, und die dann die Welt in Bewegung setzte, um die Versprechen doch zu halten. Sie wollte Memoiren schreiben und sie in einem winzigen Buchladen in Rom signieren, wo sich die Reihe der Bewunderer durch ein rosa erleuchtetes Gässchen zog. Sie wollte sich auf einem Balkon der Liebe hingeben, jemanden ruinieren, sich mit Esoterik beschäftigen und Fremde so kühl wie eine Katze taxieren. Sie wollte unergründlich bleiben, wollte, dass man einen Cocktail nach ihr benannte, dass man Liebeslieder für sie komponierte. Und sie wollte, dass ein Abenteurer sein kleines Flugzeug nach ihr benannte, Kizzy , mit dem er eines Tages in einem Sturm in Arabien verschollen ginge, woraufhin sie eine Kamelkarawane zu einer Rettungsoperation einsetzen und einen indigofarbenen Schleier als Schutz gegen den stechenden Flugsand tragen würde, so wie es die einheimischen Nomaden taten.
    Kizzy hatte so viele Wünsche.
    Sie zog die Schultern hoch, die sie sonst immer hängen ließ, und bemühte sich, aufrecht zu sitzen. Es fühlte sich unnatürlich an; ihre Sehnen leisteten Widerstand. Plötzlich überkam sie der bestürzende Gedanke, ihre miserable Haltung hätte sich verfestigen können, wenn sie gewartet hätte, wenn sie weiter so schlaff verharrt wäre wie bisher. Sie hätte sich verhärtet wie der Panzer einer Schildkröte, bis sie niemals wieder die Schultern hätte zurückziehen, Vampire mit ihrem weißen Hals hätte verhöhnen oder den Kopf vor Freude oder Abscheu in den Nacken hätte werfen können. Sie hätte sich eingerollt wie ein Zehennagel, den man zu lange nicht geschnitten hatte. Jetzt errötete sie, betrachtete ihr Spiegelbild, die niedrigen, ruhigen Schultern und den langen, fast eleganten Hals. Das Licht spielte über das grüne Seidentuch wie über einen Fluss, und in dem Schmerz, den diese neue Haltung auslöste, spürte sie eine Möglichkeit zur Flucht. Als könnte sie sich immer noch in eine andere Person verwandeln.
    Vielleicht hatte Jack Husk ja schon einen ersten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher