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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss
Autoren: Laini Taylor
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Blick auf dieses neue Mädchen in der alten Kizzy erhascht und erkannt, dass sie bereit war, sich mit einem scharfen Schnitt zu befreien, als würde sie ein Stilett führen. Sie dachte an sein vollkommenes Gesicht und seine durchtriebenen Augen, an die Hand, die ihre ergriffen hatte, an seinen sehnsüchtigen Blick und das Gefühl, davon durchdrungen zu werden. Und während sie sich Minute um Minute im Spiegel betrachtete und sich vor sich selbst entschleierte, entdeckte sie schließlich ihre Großtante Mairenni in ihrem Bild − ihr Verlangen und ihre Geheimnisse, und sogar ihre eigentümliche, kraftvolle Schönheit.
    Reif wie eine Pflaume und bereit, bei der leichtesten Berührung vom Baum zu fallen.
    Kizzy schlief unruhig und träumte viel in dieser Nacht – von Lippen, Fingern und Früchten, und Jack Husk nahm seine Fliegerbrille ab und begann, Kizzy zu schmecken, angefangen bei den zarten Innenseiten ihrer Handgelenke. Seltsame Bilder erschienen ihr in dieser Nacht, und am Morgen wurde sie von einem weiteren seltsamen Anblick begrüßt, als der Pfau seinen jämmerlichen Schrei vor ihrem Fenster ausstieß.
    Sie schlug die Augen auf. Eine Schwanenfeder schwebte an ihrem Gesicht vorbei, wirbelte herum, als Kizzys Atem sie erfasste, und segelte zu Boden. Kizzy blinzelte, setzte sich auf und blinzelte erneut. Überall im Zimmer schwebten Schwanenfedern. Sie sanken zu Boden, als hätte Kizzy nur knapp den ungewöhnlichen Sturm verpasst, der sie aufgewirbelt hatte. Ein Glitzern auf ihrem Kissen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und sie wandte sich dorthin. Neben dem Abdruck ihres Kopfes lag der wohlbekannte Perlmuttgriff, und darin eingeklappt ruhte die Klinge des Stiletts ihrer Großmutter, das irgendwie aus deren Grab zurückgekehrt war.
    Sie griff danach und es war kalt wie ein Berg im Winter.
    Als Erstes ging Kizzy hinaus und überprüfte den kleinen Kreis Familiengräber auf dem hinteren Feld. Sie stand in ihrem Nachthemd da, umklammerte das Messer mit der Faust und betrachtete den unberührten Boden am Grab ihrer Großmutter. Sie spürte die Geister, die sich um sie herum regten. Jetzt konnte sie die Geister spüren. Es war Herbst, und nun, nach der Ernte und vor dem ersten Frost, war der Schleier zwischen den Welten dünn, und die Stimmen von der anderen Seite murmelten durch die aufgeweichte Membran. Es war stets Herbst, wenn Kizzy die Geister in ihrer Nähe fühlte, scheu wie Wildkatzen. Und alle wurden von der gleichen Sache angelockt: vom Duft nach Nahrung.
    Die Katzen wurden vom Geruch des Räucherhauses angezogen, wo Kizzys Vater und die Onkel Würste aus den verschiedenen Tieren machten, die sie erlegt hatten. Mit den kleinen, rauen Zungen leckten sie schmale Blutlachen auf, ehe diese auf dem Boden eintrockneten. Die Geister hatten einen anderen Durst, ihnen stand der Sinn nach den Affodillen, die den ganzen Sommer um die Gräber blühten, und nach den Schüsseln mit gekochter Gerste, die es den Rest des Jahres gab. Katzen und Geister teilten sich die Untertassen mit Milch, und das war in Ordnung, denn sie verspeisten unterschiedliche Anteile davon: die Katzen das Stoffliche, die Geister die Essenz, und so wurde nichts verschwendet.
    Sie legten weite Wege zurück, die Katzen und die Geister, denn die normalen Familien vergossen kein heißes Blut in ihren Höfen und stellten keine Speisen für die Toten nach draußen, und deswegen waren sie nicht gerade verwöhnt und wählerisch. Kizzy glaubte, die meisten geisterhaften Besucher würden vom Friedhof unten an der Straße kommen, denn die Geister auf dem kleinen Begräbnisort der Familie waren bestimmt längst weitergezogen, da sie gut mit Geld, Vorräten, Waffen und Flügeln für ihre Reise versorgt waren. Die verweilten sicherlich nicht hier. Auch ihre Großmutter nicht.
    Wie war dann jedoch das Messer auf Kizzys Kissen gelangt, und wie der Schwanenflügel, dem alle Federn ausgerissen worden waren? Kizzy runzelte die Stirn und kehrte ins Haus zurück, wo sie ihrer Mutter in der Küche begegnete und sich entschied, die Federn und das Messer nicht zu erwähnen. Das hätte doch nur für Aufregung in der Familie gesorgt; sie hätten Kizzy nicht zur Schule gehen lassen und mithilfe einer Glaskugel herausfinden wollen, was dieser geheimnisvolle Besuch zu bedeuten haben mochte. Daraufhin hätten sie das Grab gesegnet und versucht, das Messer der rechtmäßigen Besitzerin zurückzugeben. Und Kizzy machte sich auch Sorgen, weil der Geist ihrer Großmutter keine
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