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Der verbotene Kuss

Der verbotene Kuss

Titel: Der verbotene Kuss
Autoren: Laini Taylor
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ihrer altmodischen Kleidung, und in diesem Augenblick spürte Kizzy die Warnung der Geister ganz deutlich, obwohl sich die Grashalme nur leicht wiegten.
    Ihr Rock wallte auf und drückte sich zwischen ihre Beine, als ihn ein kalter Wind erfasste. Die Böe tanzte in Richtung des Sonnenlaufs, dreimal, genauso, wie es der Geist ihrer Großmutter am Tag der Beerdigung getan hatte. Aber diesmal fühlte Kizzy eine ganze Ansammlung von Geistern, eine regelrechte Woge. Ihre Großmutter mochte durchaus hier sein, doch bestimmt nicht allein. Mitten im Schritt erstarrte Kizzy erschrocken und sah Jack Husk an. Für eine Sekunde hatte er so einen seltsamen Ausdruck in den durchtriebenen Augen … War das etwa Hohn? Und Kizzy meinte fast, er wisse, was es mit dem plötzlichen Wind auf sich hatte: dass es die Geister waren. Hatten sie nur um sie getanzt, überlegte Kizzy nun, oder um sie beide? Hatten sie Jack Husk in den Schutzkreis miteinbezogen? Oder nur Kizzy allein? Hatte der Wind versucht, sich zwischen sie zu drängen wie eine Mauer?
    »Brr …«, sagte er und fröstelte ein wenig. Zu Kizzys Missfallen löste er seinen Arm von ihrem, legte ihn dann jedoch um ihre Schulter und zog sie dicht an seine Seite. Das Missfallen löste sich in Wohlgefallen auf, genauso wie die Frage, ob er den Aufstand der Geister bemerkt haben mochte. »Kalter Wind«, sagte er nur.
    »Hm«, stimmte Kizzy zu. Der Samt seiner Jacke schmiegte sich nun an ihre Wange, und sie konnte kaum an etwas anderes denken als daran, wie es sich anfühlte, wie er ihre Lippen angeschaut hatte und was das bedeuten mochte.
    Während sie Arm in Arm über den Friedhof gingen, hörte sie Worte, so wie damals in ihrer Kindheit, als sie hier gewesen war, Fetzen von Sätzen, die so modrig waren wie Wasser im Rinnstein, das durch einen Laubhaufen lief. »Die Win termänner machen die Nachlese«, sagte eine, und eine andere intonierte: »Schmetterling« und »hungrig«. »Der Ofen ist an«, sagte eine tonlose Stimme, und dann zischte plötzlich eine wohlbekannte Stimme: »– Messer, Sonnenscheinchen –«
    Kizzy riss die Augen auf und schaute sich um und über die Schulter, wobei sie versehentlich Jack Husks Hand mit dem Kinn anstupste. Obwohl es sie bei der Berührung heiß und kalt durchfuhr, fiel ihr plötzlich ein, dass sie das Messer ihrer Großmutter in der Gesäßtasche ihrer Jeans gelassen hatte. Jahrelang hatte sie es sich gewünscht, und jetzt hatte sie es vergessen! Sie wollte ihre Großmutter fragen, warum sie hier war. Inzwischen sollte sie doch eigentlich schon weit entfernt sein, sich ihren Weg durch Labyrinthe suchen und sich gegen Schatten verteidigen, mit ihrer Geisterzunge Wasser von Stalaktitenspitzen lecken und Rätsel lösen, um durch Tore aus Knochen gelassen zu werden. Sie sollte wilde Tiere mit Schlafliedern einlullen und die Kojoten der Anderswelt bestechen, damit sie ihr zeigten, wie sie tiefer in ihre neue Welt hineingelangte. Hier sollte sie jedenfalls nicht herumspuken, unter diesen mutlosen ängstlichen Friedhofsgeistern! Solch ewiges Verweilen passte nicht zu Kizzys Familie, und erst recht nicht zu ihrer Großmutter, dieser starken Frau, die sich nie in Versuchung hatte führen lassen. Kizzy wollte sie fragen, was sie hier tat – aber Jack Husks Seite fühlte sich so warm an, und sie wollte sich nicht von ihm lösen, um der Toten eine Frage zuzuwispern.
    »Hast du auch etwas gehört?«, wollte Jack Husk plötzlich wissen.
    »Was?«, antwortete Kizzy erschrocken und mit seltsamem Schuldgefühl, als hätte er sie dabei erwischt, wie sie das Geflüster der Geister für sich behalten wollte.
    »Weiß nicht. Klang so, als hätte ein Zweig geknackt. Ich frage mich, ob hier jemand ist.«
    Aber da schien niemand sonst auf dem Friedhof zu sein, und es gab nicht einmal Anzeichen dafür, dass in letzter Zeit überhaupt jemand hier gewesen war. Dieser Ort war einsam, und Kizzy überraschte es nicht, dass die Geister von hier zu ihrem schmuddeligen Hof kamen, um ihre Zeit zwischen Katzen und Hühnern zu verbringen.
    Jack Husk fing an, Kizzys Schulter zu streicheln, während sie zwischen den Reihen von Gräbern hindurchgingen. Er begann ganz langsam und unauffällig damit, aber er zog sie auch immer fester an sich, und das Streicheln wurde zum sanften Reiben, wobei er die Hand über ihre Schulter legte und mit dem Daumen kleine Kreise malte. Sie roch die Würze des Jungen unter dem Geruch des Secondhandladens, und durch das Massieren und den Duft entspannte
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